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Schattengrund

Schattengrund

Titel: Schattengrund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Herrmann
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Tracht rauskramst und dich draußen unter den Apfelbaum setzt, werden die Gäste in Scharen kommen.«
    Zita wies mit dem Kopf auf Nico. »Und was sagt sie?«
    Nico räusperte sich. In die urbanschen Familienangelegenheiten wollte sie sich nicht einmischen. »Ich? Zita hat mir das Leben gerettet. Wenn sie Zach nicht eins über die Rübe gegeben hätte, wäre ich jetzt tot. – Wo ist er eigentlich? Und wo ist Trixi?«
    Die beiden waren sang- und klanglos verschwunden.
    »Sie werden packen«, knurrte Leon. »Aber weit werden sie nicht kommen. Ich rufe die Polizei.«
    Er ging zum Telefon auf dem Tresen, wählte eine Nummer und sprach leise in den Hörer. Nico stand auf. Wenn sie nicht bald in ein Bett käme, würde sie sich auf den Boden legen und einschlafen. Draußen vor dem Fenster begann die Nacht, sich zögernd und langsam aufzulösen.
    »Was ist das für ein Geräusch?«, fragte sie.
    Es klang wie das ferne Brummen eines Dieselmotors. Oder eine Kettensäge. Oder beides zusammen.
    »Die Räumfahrzeuge!« Lars Urban ging in den Flur und öffnete die Haustür. »Sie kommen!«, rief er den anderen zu.
    Leon legte auf. Er und der Pfarrer liefen auch hinaus. Nico war die Letzte, die sich noch einmal nach Zita umsah. Sie wollte etwas zu der alte Frau sagen, aber ihr fiel nichts ein.
    »Kann man so einen Fluch auch wieder rückgängig machen?«, fragte sie schließlich. Zita schüttelte unwillig den Kopf. »Wer an Flüche glaubt, glaubt auch an Märchen.«
    »Ach so. Ja. Gut. Na dann.«
    Für ein Lebewohl oder ein Auf Wiedersehen war es vielleicht noch zu früh – oder schon lange zu spät.

Zweiundfünfzig
    Die frische Luft blies Nico um die Ohren. Leon, sein Vater und der Pfarrer standen mitten auf der Kreuzung und spähten in Richtung Altenbrunn. Sie waren nicht alleine. Noch einige andere Bewohner von Siebenlehen waren hinaus auf die Straße gerannt. Manche hatten sich in der Eile auch nur einen Wintermantel über den Pyjama geworfen.
    »Sie kommen!«, rief einer.
    Der Ruf hallte von Haus zu Haus. »Sie kommen!«
    Der Schein der Straßenlampen verblasste langsam unter dem fahlen Morgenhimmel. Ein graues Gebirge aus Wolken ballte sich gerade im Norden über dem Brocken zusammen. Es schneite nicht mehr, aber es sah nur nach einer kurzen Atempause aus.
    Leon entdeckte Nico und kam strahlend auf sie zugerannt. »Die Räumfahrzeuge. Siebenlehen hat wieder Kontakt zur Außenwelt!«
    Er nahm sie in den Arm, hob sie hoch und wirbelte einmal mit ihr um die eigene Achse. Die Freude überwog für ihn in diesem Augenblick offensichtlich alles andere. Auch so kleinliche Gedanken ans Abschiednehmen und Sich-vielleicht-nie-mehr-Wiedersehen. Nico schluckte. Der Schock, die Schmerzen und eine abgrundtiefe Erschöpfung ließen sie alles erleben wie in einem fast schwerelosen, unwirklichen Traum. War das wirklich das Ende? Hatte sie Kianas Rätsel gelöst? Würde sie Siebenlehen und Leon jetzt verlassen müssen?
    Vorsichtig setzte er sie wieder ab und nahm ihr Gesicht in beide Hände.
    »Alles ist gut«, flüsterte er. »Hörst du mich? Alles ist gut. Wir werden noch viel reden müssen. Es wird für uns alle nicht einfach werden. Aber es ist gut. So, wie es gekommen ist, und nicht anders.«
    Sie sank an seine Brust und fing an, zu weinen wie ein kleines Kind. Alles strömte aus ihr heraus. Das Entsetzen. Die Todesangst, als Zach auf sie losgegangen war. Die Ewigkeit in der eisigen Kälte des silbernen Grabes. Filis letztes Lächeln, ihr letztes Lebewohl. Die Anfeindungen, die Flüche, die Schuldgefühle, jemanden im Stich gelassen zu haben, und schließlich auch die Trauer um zwei Kinder, über deren Leben eine Katastrophe hereingebrochen war. Die ganze Zeit hielt Leon sie in seinen Armen und hielt sie fest. Sie wusste nicht, wie lange sie so ineinander versunken dastanden. Alles um sie herum war unwichtig geworden. Was zählte, war ihre Umarmung. Seine Arme, die sie festhielten und an sich drückten. Die Worte, die er ihr ins Ohr flüsterte. Die Seligkeit dieses Moments, von dem sie wünschte, er würde nie vorübergehen.
    Das Brummen der Dieselmotoren wurde lauter. Bald mussten die schweren Geräte die Kreuzung erreichen. Nico sah hoch, blinzelte und fühlte sich, als würde sie aus einem Traum erwachen.
    »Komm, ich bring dich noch hoch.«
    Er zog sie in Richtung Schattengrund. Nico stolperte mit tränenblinden Augen hinter ihm her. Es war vorbei, aber sie fühlte keine Freude darüber. Nur eine große Leere, dort, wo ihr Schmerz

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