Schattengrund
sie. »Woher wussten Sie, dass es noch eine gab? Eine mit Ihrem Namen? Oben im silbernen Grab? Die Sie verraten hätte, wenn sie jemals gefunden worden wäre? Sie wollten mich aus Siebenlehen vertreiben. Und als Ihnen das nicht gelungen ist, wollten Sie mich umbringen.«
»Du spinnst. Raus!«
»Sie sind mir gefolgt. Den ganzen Weg rauf auf den Berg. Sie haben Maik niedergeschlagen, ihm ein Schloss geklaut und mich in den Stollen gesperrt!«
Ein gefährliches, verschlagenes Lächeln huschte über Zachs Gesicht. »In den Stollen? Welcher Stollen?«
»Sie haben die tote Krähe in meinen Schornstein geworfen, damit ich ersticke!«
»Bisschen Verfolgungswahn, was?«
»Wo waren Sie heute Nacht?«
»Im Bett, Schätzchen. Leider allein. Frag doch mal Trixi.«
Nico sah auf den Boden. Rund um Zach befanden sich feuchte Fußspuren. »Nicht nötig. Es sei denn, Sie gehen mit nassen Stiefeln schlafen.«
Der Schnee, der sich in den Profilen von Zachs Sohlen gesammelt hatte, war geschmolzen. Und die letzten Reste der Feuchtigkeit verteilten sich gerade auf dem Parkett. Entsetzt starrte er auf die verräterischen Spuren.
»Zach?« Zitas Stimme klang dünn und zerbrechlich. »Zacharias?«
Blitzschnell war er hinter der Theke, riss die Schublade auf und kam mit einem Messer in der Rechten zurück. Vorsichtig tastete Nico sich um den Tisch herum Richtung Ausgang – zu spät. Zach schnitt ihr den Weg ab.
»Komm her, Schlampe. Ich schneid dir die Gurgel durch!«
Er kam näher, die Klinge zielte auf Nicos Gesicht. Sie wich aus, rannte um den Tisch herum, aber Zach tauchte sofort wieder vor ihr auf.
»Aufhören!«, schrie sie. »Das hat doch keinen Sinn! Leon hat es gesehen und Maik auch!«
»Maik, der Irre!« Zach lachte und es klang auch nicht gerade zurechnungsfähig. »Und Leon? Wo ist er denn? Ihr seid hier eingebrochen und ich hab mich gewehrt. Jugendliches Gesindel! Glaubt, es gibt hier was zu holen!«
Die Klinge erwischte Nico am Oberarm. Sie spürte einen kurzen, brennenden Schmerz und warf sich zur Seite.
»Zita!« Die Alte saß da und murmelte vor sich hin. »Er bringt mich um! Zita!«
Nico rannte zur Tür, stolperte über einen Stuhl und fiel der Länge nach hin. Sofort war Zach über ihr. Sie hob die Hände und griff direkt in die Klinge. Dieses Mal war es die Hölle. Blut spritzte aus der Wunde und lief ihren Arm hinunter. Zach packte ihren Kopf und zog ihn nach hinten. Sie spürte das Messer an ihrem Hals.
»Ihr wollt mich fertigmachen, ja?«
»Nein«, wimmerte Nico. »Nein!«
Etwas zerschnitt die Luft. Der Schlag klang wie Holz auf Holz. Zachs Kopf kippte nach hinten. Er riss die Augen auf und sank, beinahe anmutig, zur Seite. Über ihm, aus Nicos Sicht fast überirdisch groß, stand Zita, den Gehstock in der Hand, schwer atmend, zitternd, und ließ ihn nach einer Ewigkeit sinken.
Die Haustür wurde aufgestoßen. In dem Stimmengewirr identifizierte Nicos Hirn einzig und allein Leon. Leon, der hereingestürzt kam, seine Großmutter im letzten Moment auffangen und zum Stuhl begleiten konnte, sich dann über Nico beugte und ihr hochhalf.
»Dieses Schwein«, sagte er. »Dieses miese Schwein.«
Um Nico und Zach drängelten sich Trixi – sie fiel erst einmal theatralisch auf die Knie und überzeugte sich davon, dass ihr Mann noch lebte, – der Pfarrer und ein Mann, den Nico noch nicht kannte, der aber eine große Ähnlichkeit mit Leon hatte: die gleichen dunklen Augen und widerspenstigen Haare, die gleichen schlaksigen Bewegungen. Sein Gesicht war gröber – wahrscheinlich das Alter, er war vielleicht Anfang fünfzig. Aber er sah sympathisch aus.
»Urban«, sagte er und reichte Nico die Hand. Seine Stimme klang verschnupft »Lars Urban. Oh, Verzeihung.«
Er sah Nicos Verletzungen.
»Ich kümmere mich mal um einen Verbandskasten.«
Leon führte Nico an Zitas Tisch und schob ihr den Stuhl zurecht. »Danke«, murmelte sie in Richtung der alten Frau. Das hätte sie Zita niemals zugetraut.
»Darf ich fragen, was geschehen ist?« Der Pfarrer sah sich ratlos um. »Wer hat denn Zacharias zusammengeschlagen?«
Nico hob ihre blutende Hand und deutete auf Zita. Alle sahen ungläubig auf die alte Frau, die wachsbleich und schweigend auf ihrem Stuhl saß.
»Er hatte vor, mich zu killen. Ich … ich hab’s ihm gesagt.«
»Du hast was?«, fragte Leon. »Du hast es ihm gesagt? Alleine?«
»Na ja, Zita war noch dabei.«
Trixi kam auf die Beine. »Was hast du ihm gesagt?«, fragte sie drohend.
Zach stöhnte.
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