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Schattenkampf

Titel: Schattenkampf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Lescroart
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oder weniger um eine kurze Ohnmacht. Dann gibt es Anfälle, sowohl epileptische als auch psychogene, die nicht epileptisch sind. Und schließlich gibt es alkoholbedingte Blackouts, bei denen man während oder nach einem Besäufnis eine anterograde Amnesie hat. Alle diese Zustände würden wahrscheinlich von einem Laien als Blackout bezeichnet, und alle könnten durch ein SHT ausgelöst werden.«
    »Und was passiert während eines solchen Blackouts?«
    »Entweder eines oder beide von zwei Dingen: vorübergehender Verlust entweder des Bewusstseins oder des Erinnerungsvermögens.«
    »Und wie lang kann ein Blackout dauern?«
    »Das hängt ganz davon ab. In gewissem Sinn könnten Laien auch ein Koma als Blackout bezeichnen, und ein Koma kann bekanntermaßen zehn Jahre und länger anhalten. Die meisten, wie eine Ohnmacht oder ein epileptischer Anfall, dauern jedoch nicht länger als zehn Minuten.«
    Und plötzlich spürte Washburn bei dieser Antwort Dr. Bromleys eine beängstigende Leere in seinem Bauch, die so heftig war, dass er kurz glaubte, er bekäme gleich selbst eine Synkope. Natürlich war er sich schon den größten Teil des vergangenen Jahres der Schwäche dieser Blackout-Argumentation bewusst gewesen, weshalb er sie am vergangenen Wochenende noch einmal mit Bromley durchgegangen war, um diesen medizinischen Tatbestand unbedingt zu Protokoll nehmen zu lassen.
    Während er noch mühsam um Fassung rang, um zum nächsten Punkt zu kommen, sah er die Zeugenaussage
schlagartig als das, was sie war: nichts als Schall und Rauch. Er konnte geradezu körperlich spüren, dass sie nichts brächte. Er hatte gehofft, geltend machen zu können, dass Evans Bewusstseinsverlust eine mögliche und sogar gängige Folge seines Schädel-Hirn-Traumas war, um dann alles fein säuberlich mit dem Irak zu verknüpfen und sich von Mrs. Ellersby die Braver-Soldat-Sympathiestimme zu holen. Nach den Schlägen, die Evan in besagter Nacht eingesteckt hatte, hatte Washburn angenommen, wenigstens ein Argument anbringen zu können, das Evans bevorstehender Zeugenaussage eine gewisse Glaubwürdigkeit verlieh.
    Aber jetzt sah er mit erschreckender Klarheit, dass das nicht der Fall wäre. Die Tatsache, dass Evan irgendwann einen Blackout gehabt haben könnte, war keinerlei Beweis dafür, dass er sich im fraglichen Zeitraum tatsächlich phasenweise oder sogar die ganze Zeit in einem Zustand der Bewusstlosigkeit befunden hatte. In Anbetracht seines Alkoholspiegels zum Zeitpunkt seiner Festnahme war unbestreitbar, dass er zumindest phasenweise bei Bewusstsein gewesen sein musste, als er sich bis zur Besinnungslosigkeit betrunken hatte. Washburns Annahme, dass er das irgendwie an den Geschworenen vorbeischleusen könnte oder dass es in einer Woge des Mitgefühls unterginge, war reines Wunschdenken. Er hatte geglaubt, es könnte funktionieren, weil er darauf angewiesen war, dass es funktionierte, wenn er überhaupt hoffen wollte, diesen Prozess zu gewinnen.
    Zumindest hatte Washburn noch Bromleys Aussage, was Evan Scholler wegen seines Schädel-Hirn-Traumas durchgemacht hatte. Möglicherweise würde er sein Leben lang an dessen Folgen zu leiden haben. Einige Geschworene würden Evan vielleicht zugutehalten, dass etwas Wahres an seiner
Schilderung des Tathergangs sein könnte, weil sie Mitleid mit ihm empfanden. Allerdings ließ sich aus Bromleys Aussage kein Beweis ableiten, dass Evan unzurechnungsfähig oder nicht in der Lage gewesen war, den Mord an Ron Nolan zu begehen. Und letzten Endes würde diese simple Tatsache aller Wahrscheinlichkeit nach zur Verurteilung seines Mandanten führen. Wenn er etwas anderes angenommen hatte, hatte er sich nur etwas vorgemacht.
    Er ging zu seinem Tisch und trank einen Schluck Wasser. Dann kehrte er an seinen Platz in der Mitte des Gerichtssaals zurück. Aber er zögerte immer noch.
    »Alles in Ordnung, Mister Washburn?«, fragte Tollson mit unübersehbarer Besorgnis. »Möchten Sie eine Pause?«
    »Nein, Euer Ehren. Danke.« Dann machte er seine übliche Verbeugung, bedankte sich bei Bromley und übergab ihn an Mills.
    Die Anklägerin stand auf, und der Enthusiasmus, mit dem sie ihren Platz einnahm, verriet Washburn, dass ihr nicht entgangen war, was gerade passiert war. Und tatsächlich hieb ihre erste Frage prompt in die Kerbe. »Herr Doktor, was diese Blackouts angeht, von denen gerade die Rede war. Ist zutreffend, dass sie normalerweise nur wenige Minuten dauern?«
    »Normalerweise ja. Aber das kann durchaus

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