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Schattenkampf

Titel: Schattenkampf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Lescroart
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gegen den Angeklagten sprachen, gab sich Washburn keinen Illusionen hin, dass dies die größte Herausforderung seiner gesamten Karriere als Anwalt werden könnte. Er hatte nicht viel vorzubringen und wusste, dass das wenige, was er hatte, bestenfalls fragwürdig war.
    Als Erstes galt es, die Geschworenen, soweit dies überhaupt möglich war, auf Evans Seite zu ziehen. Eingedenk der Tatsache, dass er nur einen einzigen Geschworenen benötigte, schoss er sich auf eine Frau in der hinteren Reihe ein, eine Maggie Ellersby, die etwa das Alter und mit Sicherheit das gleiche Vorstadt-Hausfrauenäußere hatte wie Evans Mutter Eileen. Dazu kam noch, dass sie bei der Geschworenenauswahl angegeben hatte, zwei Söhne zu haben; dass sie gegen den Irakkrieg war, auch wenn sie die Truppen dort unterstützte. Möglicherweise hatte sie eine liberale Ader, die unter Umständen so weit reichte, dass sie Evan in gewisser Weise als Opfer betrachtete und somit als nicht in vollem Umfang strafwürdig. Darüber hinaus war sie seit dreißig Jahren mit
demselben Mann verheiratet, weshalb sie sich möglicherweise unbewusst mit Tara und Evan identifizierte und ihnen wünschte, diese Schwierigkeiten zu überwinden und sich ein gemeinsames Leben aufzubauen. Das alles war selbstverständlich äußerst vage, aber allein der Umstand, dass er sozusagen einen »Lackmus-Geschworenen« hatte, auf den er seine Verteidigung abzielen konnte, machte Washburn Hoffnung.
    »Euer Ehren«, sagte Washburn, als ein neuer Regenschwall gegen die Fenster prasselte, »die Verteidigung ruft Anthony Onofrio in den Zeugenstand.«

    »Mister Onofrio, Sie kennen den Angeklagten, Evan Scholler, aus dem Irak?«
    Washburn wollte Onofrio aus verschiedenen Gründen haben, wovon nicht der geringste war, dass er so eine gewinnende »Typ von nebenan«-Ausstrahlung hatte. Er war ein von Natur aus positiv eingestellter Mensch, der mit seiner Kolonne auf Kaliforniens Straßen arbeitete. Er verfügte über ein gewisses Maß an Bildung, wenn auch nicht sehr viel, und mit seinem locker-lässigen guten Aussehen gelänge es ihm vielleicht, Mrs. Ellersby, zum Beispiel, von seiner Einschätzung Evan Schollers zu überzeugen.
    »Ja. Er war mein Zugführer.«
    In der nächsten Stunde graste Washburn mit Onofrio das gleiche Terrain ab, das er schon vor der Geschworenenauswahl bei der PTBS-Vorverhandlung abgedeckt hatte. Mills erhob bei den gleichen Punkten Einspruch, bei denen sie damals Einspruch erhoben hatte - Onofrio sei zum Zeitpunkt des Mordes gar nicht in den Vereinigten Staaten gewesen, weshalb seine Aussage keinerlei Relevanz haben könne -,
aber Washburn führte erneut an, Onofrios Aussage sei von grundlegender Bedeutung für Evan Schollers Kopfverletzungen, die bisher noch nicht zur Sprache gekommen seien. Auch wenn das Thema PTBS nicht angeschnitten wurde, waren diese Kopfverletzungen eindeutig für seine Blackouts von Bedeutung, und diese wiederum, argumentierte Washburn mit Tollsons Zustimmung, konnten sich als Kernpunkt der Verteidigung erweisen.
    Im Zuschauerbereich wurde es sehr still, als Onofrio das Feuergefecht in Masbah zu schildern begann und mit der Beobachtung schloss: »… wir wären noch weggekommen, aber zwei unserer Leute waren bereits getroffen worden, und Evan war nicht bereit, ohne sie wegzufahren.«
    »Was hat er also getan?«
    »Er ist mit zwei anderen Jungs zum ersten Humvee gerannt und hat den Fahrer rausgezogen und zu unserem Wagen zurückgetragen. Dann sind sie nochmal zurück und haben den MG-Schützen geholt.«
    »Und stand Lieutenant Scholler währenddessen unter Beschuss?«
    »Unter schwerem Beschuss, Sir. Es war richtig haarig, er kam von allen Seiten.«
    »Aha.« Nachdem Evans Tapferkeit und seine Fürsorge für seine Männer unter Beweis gestellt waren, ließ Washburn den Zeugen die Masbah-Geschichte ohne weitere Unterbrechungen zu Ende erzählen. Zu seiner Freude bemerkte er, dass Mrs. Ellersby während Onofrios Schilderung ihre Augen mehrere Male mit einem Kleenex betupfte. Als Onofrio zu dem Punkt kam, an dem Evan mit heftig blutendem Kopf inmitten seiner toten Kameraden liegen blieb, zeigten auch einige andere Geschworene ähnliche Reaktionen.

    Von der Geschichte nicht weniger gerührt als die Geschworenen, stand Washburn mehrere Sekunden stumm da. Dann übergab er den Zeugen an die Anklage.

    Als Mills Onofrio bei der Vorverhandlung wegen der PTBS ins Kreuzverhör genommen hatte, war sie mit ihren Fragen zu Evan Schollers Alkoholkonsum im

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