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Schattenkind: Kriminalroman (Yngvar Stubø-Reihe) (German Edition)

Schattenkind: Kriminalroman (Yngvar Stubø-Reihe) (German Edition)

Titel: Schattenkind: Kriminalroman (Yngvar Stubø-Reihe) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Holt
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urteilen.
    »Jon«, brach es aus Ellen hervor wie ein Schrei.
    Rasche Schritte auf der Treppe.
    »Warum ist es hier so dunkel?«, fragte Joachim.
    Enttäuscht sank Ellen in sich zusammen.
    Neue Schritte. Diesmal schwerer.
    »Jon«, flüsterte Ellen.
    »Jetzt mach doch mal Licht hier«, sagte Jon verärgert. »Du sitzt ja im Dunkeln da.«
    Inger Johanne räusperte sich und beugte sich im Sessel vor.
    »Ach, du bist das«, sagte Jon tonlos. »Ich hab schon überlegt, wem das Auto vor der Garagentür wohl gehört.«
    Er ging durch das Zimmer und griff nach einer weißen Fernbedienung. Licht strahlte von der Decke wie von einem Scheinwerfer, aber sofort dämpfte er es zu einem gelben Abendlicht und schaltete dann hier und dort eine Tischlampe ein.
    »Joachim und ich müssen arbeiten«, sagte er kurz.
    »Arbeiten? Aber ...«
    Ellen setzte sich gerade und drehte sich zu ihrem Mann um. Sie fuhr sich nervös über die Oberschenkel, wieder und wieder.
    »Wie war es? Bei der Polizei?«
    »Nicht gerade gut. Die haben diesen Trottel wohl von Manpower gemietet.«
    »Aber du bist ...«
    »Der hatte bestimmt in seinem ganzen Leben noch keine Vernehmung geleitet.«
    Inger Johanne war jetzt aufgestanden. Es war Viertel vor zehn, und Ellen war nicht mehr allein. Jedenfalls nicht physisch. Dennoch sah sie immer elender aus, wie sie so dasaß, offenbar kurz vor dem nächsten Zusammenbruch.
    »Warum musst du jetzt arbeiten?«, fragte sie, und ihre Stimme war kaum zu hören. »Ich hatte solche Angst, und ich dachte, wir könnten ...«
    »Das sind komplizierte Sachen, die bis Montag geklärt sein müssen«, fiel Jon ihr ins Wort. »Die Geschäfte hören nicht auf, nur weil ...«
    Inger Johanne ging jetzt auf die Treppe zu. Um die beiden Männer nicht ansehen zu müssen, nahm sie ihre Brille und putzte sie mit dem Pulloverbund. Sie hätte Ellen umarmen müssen, aber die Stimmung war so düster, dass sie nur noch wegwollte.
    »Danke«, hörte sie Jon sagen, und sie drehte sich doch noch um, als sie die Treppe erreichte und die Brille wieder aufgesetzt hatte.
    »Wofür?«, rutschte es ihr heraus.
    Jon war auf dem Weg zu Ellen. Mitten im Zimmer blieb er stehen.
    »Danke, dass du zu Ellen gekommen bist. Ich gehe davon aus, dass sie dich angerufen hat, weil ich so lange weg war.«
    »Ja.«
    »Ich musste auf dem Weg von der Wache noch im Büro vorbei. Danke.«
    Er wirkte jetzt zehn Jahre älter. Dennoch hatte er lange nicht mehr so sehr wie der Junge aus ihrer Schulzeit ausgesehen. Sein Rücken war krumm, und seine Schultern gingen in zwei viel zu lange Arme über, die schlaff herabhingen. Obwohl es eher kühl war, malte der Schweiß große Ringe unter seine Achseln.
    »Wir müssen mal loslegen«, sagte Joachim. »Ich schaff es nicht, bis tief in die Nacht zu arbeiten.«
    Der junge Kollege wirkte genauso frisch und gepflegt wie am Vorabend. Seine Jeans war dieselbe, meinte Inger Johanne, aber jetzt trug er ein kreideweißes, frisch gebügeltes Baumwollhemd. Das Einzige, was das Bild des perfekt aussehenden jungen Mannes störte, war, dass er zu den braunen Mokassins weiße Socken trug. Er lehnte wie am Vortag am Kaminsims und spielte mit einem großen Schlüsselbund.
    Dass Jon jetzt unbedingt arbeiten musste, einen Tag nach dem Tod seines einzigen Kindes, am späten Samstagabend mitten in der Ferienzeit, war nicht zu begreifen. Auch nicht, dass er sich dazu in der Lage sah. Andererseits waren Trauerreaktionen oft unvorhersagbar. Inger Johanne schaute noch einmal zu Ellen hinüber. Sie saß zum Fenster und der dunkelgrauen Aussicht gewandt, hatte die Hände auf die Armlehnen gelegt und die Augen geschlossen.
    »Klar«, sagte Inger Johanne. »Bis dann.«
    Wenn irgendetwas ist, ruft einfach an, hätte sie hinzufügen müssen.
    Das sagte sie nicht.
    Der Todesfall hatte nicht nur die Menschen gezeichnet, die hier wohnten. Das Haus selbst hatte einen anderen Charakter angenommen. Sogar die frischen Blumen wirkten tot, allzu farbenfroh und glänzend, als wären sie aus billigem Kunststoff. Dass nirgends Spielzeug lag, war vielleicht nicht so verwunderlich, am Vortag waren ja immerhin Gäste erwartet worden. Dennoch schien das Haus bereits alle Spuren von Sander ausgelöscht zu haben. Das Fehlen von Familienbildern an den Wänden, sogar in der Küche und auf dem Gang, hatte Jon einmal damit erklärt, dass ihr Junge im täglichen Leben mehr Aufmerksamkeit als genug verlangte. Er hatte gelacht, und andere hatten mit ihm gelacht, aber Inger Johanne

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