Schattenkind: Kriminalroman (Yngvar Stubø-Reihe) (German Edition)
im Fernsehen, da sonst ja alles so sommerstill war.
»Sie wissen schon«, sagte sie und zog ihre Schultertasche hoch, als Hinweis darauf, dass sie jetzt gehen wollte.
»Und ob ich das weiß«, sagte der Mann lächelnd. »Meine Frau und ich haben insgesamt sieben Kinder. Nur eins davon ist ein gemeinsames. Der reinste Wilde Westen, wenn am Wochenende alle bei uns sind. Ganz zu schweigen von den Ferien. Darum wüsste ich auch gern, ob es den ganzen verdammten Sommer lang regnen wird.«
Der Mann legte den Kopf schräg und warf einen Blick zum Himmel, dann schaute er sie fragend an, als ob er eine Antwort auf seine meteorologischen Überlegungen erwartete.
Inger Johanne kam das alles sehr unpassend vor. Sie plauderten wie auf einem Fest. Als ob es jeden Moment Essen gäbe und sie ihn nur aus Höflichkeit in den Garten begleitet hätte, damit er eine halb verbotene Zigarette rauchen könnte.
»Keine Sorge«, sagte Kalle Hovet gelassen.
Seine Augen sind wirklich eher gelb als braun, dachte sie.
»Wir sind beide aufgewühlt. Das ist doch nur eine Art, um ...«
Er hob die Arme, dann fuhr er sich mit beiden Händen über den Schädel.
»Furchtbar«, murmelte er. »Das da drinnen war einfach nur furchtbar. Man glaubt, alles, was gefährlich ist, unter Kontrolle zu haben. Installiert Kindersicherungen und Sperren, gibt ihnen Helme und Sicherheitsgurte und was weiß ich nicht alles. Dann kehrt man ihnen zwei Minuten lang den Rücken zu und ... eine Trittleiter. Eine verdammte blöde Trittleiter. Gibt es übrigens noch Angehörige, die wir verständigen sollten? Jemanden, der Ellen und Jon helfen könnte? Eltern, also ich meine Großeltern des Jungen?«
Inger Johanne konnte sich gut an sie erinnern. Agnes und Torbjørn Krogh waren damals Eltern gewesen, um die Ellen von ihrem ganzen Bekanntenkreis beneidet wurde. Immer stand ihre Tür offen, sie waren munter, entgegenkommend und gerade so jugendlich, dass es nicht peinlich wurde. Ellen war ein angebetetes Einzelkind, und die Beziehung schien herzlich zu sein. Aber irgendetwas war geschehen. Als Agnes und Torbjørn drei Jahre zuvor nicht zum traditionellen Sommerfest im Glads vei erschienen waren, hatte Inger Johanne Ellen gefragt, ob ihre Eltern verreist seien. Ellen antwortete nicht direkt, murmelte nur etwas darüber, dass sie nicht länger willkommen seien. Später hatte Inger Johanne den Eindruck gewonnen, es habe mit Sanders Erziehung zu tun. Ellen wollte nicht darüber reden, und Inger Johanne hatte nicht das Gefühl, ihr nahe genug zu stehen, um weiter in Dingen zu wühlen, die sie ja gar nichts angingen.
»Ellens Eltern haben wohl wenig Kontakt zu ihnen.«
Sein Telefon vibrierte fast unhörbar in der Innentasche des leichten Sommerjacketts.
»Zum zehnten Mal in einer halben Stunde«, sagte er gereizt. »Mindestens. Bei sieben Kindern ist immer verdammt viel los. Aber ich hatte nicht das Gefühl, telefonieren zu können, als der Junge da lag und die Mutter so ...«
Er zog ein Nokia hervor und öffnete eine SMS. Inger Johanne drehte sich zu der breiten Schiefertreppe um, die mit acht Stufen zum Glads vei hochführte.
»Was zum Teufel«, hörte sie ihn murmeln, als sie losging. »Was zum ...«
Als sie sich zu ihm umdrehte, war er sichtlich bleicher geworden. Die Hand mit dem Telefon zitterte, und er las die Mitteilung offenbar mehrmals. Oder vielleicht waren es auch mehrere Mitteilungen. Als er sie endlich ansah, stand sein Mund offen, und sein Blick war ungläubig, als sei er nicht imstande, mit dem Schritt zu halten, was das Gehirn zu verarbeiten versuchte. Er erinnerte Inger Johanne an ein Reh, das sie einmal in der Dunkelheit angefahren hatte, die verängstigten verwirrten Augen, in denen sich für einen Moment die Scheinwerfer spiegelten, ehe der Wagen das Tier traf und es starb.
»Was ist passiert?«, fragte sie vorsichtig und trat einen Schritt auf ihn zu.
Kalle Hovet gab keine Antwort. Er rannte los. Er hätte sie mit der Schulter fast umgestoßen, als er an ihr vorbeikam und mit drei Sätzen die Treppe hinaufsprang.
Ohne auch nur ein Wort zu sagen.
Inger Johanne hörte, wie ein Motor angelassen wurde, und Reifen, die über den Asphalt kreischten, als der Wagen auf der Straße schneller wurde und dann verschwand.
Vielleicht war diese Explosion schlimmer, als sie angenommen hatte.
Vergeblich versuchte sie, ihr zerbrochenes Mobiltelefon zum Leben zu erwecken. Sie wollte im Internet nachsehen, was eigentlich los war. Das Display
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