Schattenlord 5 - Sturm über Morgenröte
ertränkt hatte. Auf dem See schwamm eine Insel, auf der Dattelpalmen wuchsen. Die Früchte waren groß und nahrhaft und machten satt; das war etwas, das die Menschen schon lange nicht mehr gekannt hatten. Sie hatten Sinenomens Schreckensherrschaft durchlitten, und bevor der Wiederaufbau sie erreicht hatte, war Alberich gekommen. Also hatten sie ihre Sachen gepackt und waren geflohen, auf der Suche nach einem besseren Ort, der dem neuen Tyrannen standhielt, dessen Kräfte noch nicht aufgezehrt waren.
Die Menschen tranken die Milch der Kühe und schlachteten jedes halbe Jahr eines von den zwei Kälbern, die abwechselnd geboren wurden. Und sie schwammen durch den See und holten die Datteln.
Manchmal regnete es Frösche und kleine Fische, und die brieten sie und aßen sie auch.
Sie blieben, weil sie satt waren, weil ihnen hier niemand sagte, was sie zu tun und zu lassen hatten, weil sie niemand mehr schlug und ihnen die Töchter und die Söhne raubte, um sie in Dienst zu pressen.
Ab und zu wurde ein Kind geboren. Sie zogen es auf, und dann ging es, denn es wollte nicht bleiben. Es konnte nicht verstehen, dass der See und die Datteln und die Kühe genug waren und den ganzen Reichtum bildeten, den man begehrte.
Die Kinder zogen aus und behaupteten, sie würden nach einem besseren Ort suchen und zurückkehren und alle mit sich nehmen. Sie kamen nie wieder.
Seth hatte niemals die Tage gezählt, die er nun hier lebte. Sechs Kinder hatte er losziehen sehen, also musste es eine beachtliche Zeit sein. Aber das spielte in Innistìr nun einmal keine Rolle. Menschen maßen an ihr höchstens ihr Lebensalter, aber wozu musste Seth das wissen? Er war da, und eines Tages war er nicht mehr da. Und dazwischen wollte er satt sein. Und frei.
Niemand kam jemals hierher, denn es gab hier nichts, weswegen sich zu leben lohnte. Niemand verstand, was die Menschen hier hielt. Sie selbst auch nicht. Weil sie keinen Grund brauchten. Sie taten es einfach.
Math trat aus der Hütte, einen Schilfkorb unter dem Arm. Sie wollte Wäsche waschen. Sie musste vorsichtig dabei sein, denn die Stoffe fingen an zu zerfallen, und sie hatten kaum mehr Ersatz. Das Kalbsleder wurde zwar vollständig verwendet, mehrmals in dünne Lagen zerlegt, um so viel wie möglich herauszuholen. Immer nur eines pro Zyklus war sehr wenig, auch wenn man bescheiden war. Aber sie arbeiteten bereits an Abhilfe, fingen an, aus Schilffasern und den Fasern der Palmblätter Kleidung herzustellen. Damit flickten sie die Stoffe, und nach und nach würde dann schließlich alles ausgetauscht sein. Wenn es so weit war, würden sie sich nicht mehr daran erinnern, wie es vorher gewesen war.
Seth nickte ihr zu. Sie redeten nicht viel miteinander, aber das war auch nicht notwendig. Sie waren einander so vertraut, dass sie sich wortlos verständigen konnten.
Math blieb stehen und runzelte die Stirn. Das war ungewöhnlich. Seth stand auf und drehte sich um.
Er sah die Staubwolke kommen. Hörte den Schlag von schweren Hufen, der den Boden leicht zum Erzittern brachte.
Es waren viele. Unglaublich viele. Seth schätzte sie auf annähernd dreihundert. Er konnte gut schätzen.
Math trat an seine Seite. »Wer sind die?«
»Sie bedeuten nichts Gutes«, sagte Seth. »Halte dich bereit, Frau.«
Sie blieben nebeneinander stehen und erwarteten die Reiterschar.
Die Berittenen trugen funkelnde Helme und Lederrüstungen mit Metallverzierungen, Arm- und Beinschienen. An ihren Gürteln hingen Schwerter, Äxte, Morgensterne und Handschleudern. Armbrüste, Pfeile und Bogen, Speere.
Als sie anhielten, wurde der aufgewirbelte Staub weitergetrieben; schließlich legte er sich wie ein hauchfeines Tuch über die Siedlung.
Der Anführer mit dem prächtigen Helm stieg ab und kam auf sie zu. Vier weitere Helmträger stiegen ab und folgten ihrem Herrn.
Math und Seth verbeugten sich leicht.
»Willkommen, ihr Krieger«, sagte Seth mit rauer Kehle, und es fiel ihm schwer, die Worte zu formen. Er sprach manchmal nicht mehr als zwanzig Wörter am Tag und manchmal gar nichts. »Kehrt ein zur Rast, wir haben Datteln und Wasser. Die Milch von heute Morgen haben wir leider schon verbraucht.«
»Habt ihr Geflügelte gesehen?«, fragte der Anführer, ohne den Gruß zu erwidern. Eine goldene Mähne wallte unter dem Helm hervor.
»Es kommt niemand hier jemals vorbei«, antwortete Seth. »Es gibt hier nichts außer uns.«
»Wir sind doch auch hier«, erwiderte einer der Begleiter. Sie zogen die Schwerter und gingen
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