Schattenlord 5 - Sturm über Morgenröte
Andreas ging zu seiner Hütte und Felix zu seinen Kindern. Einerseits hatte er ein schlechtes Gewissen, andererseits war er froh, dass er nicht mitzugehen brauchte. Obwohl das Warten sicherlich schlimm werden würde, denn mit jedem Tag, der verstrich, verfiel Angela mehr dem Einfluss Alberichs, bis es vielleicht nicht mehr umkehrbar war.
Felix sagte es seinen Kindern nicht, aber er hatte seine Frau in Wirklichkeit bereits aufgegeben. Wenn er ganz ehrlich war, hatte es zwischen ihnen seit einiger Zeit gar nicht mehr so zum Besten gestanden, und Angela hatte oft davon gesprochen, dass sie sich mehr erträumte. Doch er wollte sie Alberich nicht kampflos überlassen, sondern sie ihm entreißen, ihm nehmen, wonach ihn gierte.
Sandra und Luca waren gar nicht so begeistert, dass ihr Vater bei ihnen blieb. Sie wären ihrer Ansicht nach auch hervorragend ohne ihn ausgekommen. Beide waren schon dabei, sich einen kleinen Freundeskreis aufzubauen, um das Beste aus ihrem Aufenthalt zu machen. Und sie glaubten nach wie vor fest an die Standhaftigkeit ihrer Mutter, dass sie Alberich austrickste. Felix bestärkte sie darin und ekelte sich innerlich vor sich selbst.
Milt und Laura gingen spazieren und genossen ein paar Stunden Ruhe und Idylle. Im Lager selbst war viel los, von verschiedenen Übungsplätzen erklangen Schreie und Klirren. Im Dschungel aber war es friedlich und gelassen. Einmal sahen sie einen Greif gemütlich dahinschreiten, der hier und da nach kleinen saftigen Happen schnappte, die frech vor ihm in den Bäumen herumturnten.
Abrupt blieb Laura stehen und kratzte sich heftig am Rücken.
»Was hast du? Einen Juckreiz?«, fragte Milt.
»Nein, ich glaube, ich habe mich irgendwie gestoßen, es fühlt sich zumindest so an. Ähm, ein Wunder wäre es nicht.« Sie grinste schelmisch.
»Lass mal sehen.« Er schob die Jacke und das Männerhemd hoch und untersuchte ihren Rücken. »Ich kann nichts entdecken, nur eine leichte Rötung von deinen Kratzspuren. Keine Schwellung.«
»Es ist ja auch nichts weiter. Also gib schon Ruhe. Du kannst mich nicht in Watte packen.«
»Das wäre wahrscheinlich das Beste. Sag mir trotzdem, wenn es nicht aufhört. Venorim hat etwas von Nebenwirkungen gesagt, als sie dir das Gift gab. Vielleicht dauert es so lange, bis sie eintreten. Sie schien ziemlich erstaunt, wie du es weggesteckt hast.«
»Na schön, ich werde darauf achten«, versprach sie lächelnd. Sie merkte, dass er ihre Kleidung noch nicht nach unten gezogen hatte. Dann spürte sie seine weichen Lippen auf ihrem Rücken, seine Hände wanderten nach vorn zu ihren Brüsten und umfingen sie, und ein wohliger Schauer überlief sie.
»Lass uns zur Hütte zurückgehen«, schlug sie vor. »Wir brauchen Schlaf ... viel Schlaf. Wer weiß, wann wir wieder dazu kommen, wenn wir erst unterwegs sind.«
»Ja, das sollten wir tun, Kräfte sammeln«, sagte er mit belegter Stimme und hatte es auf einmal eilig.
Am Morgen war Laura vor Milt reisefertig und unternahm einen kleinen Spaziergang für sich allein. Sie lauschte in sich hinein und konnte spüren, dass die Mauer immer noch da war und dass dahinter etwas flüsterte. Hatte sie etwa den Schattenlord dort eingesperrt? Oder war es der Mondelf?
Unbewusst kratzte sie sich erneut am Rücken. Sie war nicht frei, hatte die Gitter außen nur gegen die Gitter in ihrem Inneren vertauscht. Ob sie je alle Antworten erhalten würde? Worum ging es wirklich?
Milt erwartete sie vor der Hütte, angezogen und mit der Ausrüstung im Arm. »Bist du bereit?«, fragte er sie.
Sie blieb stehen, um sich sein Bild genau einzuprägen, diesen Moment, damit sie nie wieder etwas vergaß. Dann atmete sie tief durch.
»Ja, ich bin bereit«, sagte sie.
19
Leonidas
Schwur
D er Westwind brachte Staub und Sand mit sich. Die Siedlung lag am Rand der Amethystwüste am Ufer eines glasklaren Sees, auf dessen Grund Amethystbrocken glitzerten.
Es waren nicht mehr als ein paar armselige Hütten, zurechtgezimmert von Leuten, die nur auf der Durchreise hatten sein wollen, aber vom Oststurm überrascht worden waren. Nur zwei Kühe und ein Stier hatten überlebt; das gesamte übrige Vieh war von Massen von Sand begraben worden.
In letzter Zeit ging der Sand zurück und legte bleiche, saubere Knochen frei, die groteske Kunstfiguren bildeten.
Die Menschen waren immer noch da. Sie waren geblieben. Sie hatten sonst nichts mehr. Das Holz hatten sie am Schilfufer gefunden, von Bäumen, die der Sturm umgeknickt und
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