Schattennächte: Thriller (German Edition)
»Die kennen sich doch. Sie standen in Kontakt miteinander, während Houston seine Strafe in der Men’s Colony absaß. Warum hat er der Nachbarin erzählt, er wäre ein Cop?«
»Was sollte er denn sonst sagen?«, erwiderte Mendez. »Ich bin Rolands Kumpel aus dem Knast? Wenn er behauptet, er ist ein Cop, gibt sie sich damit zufrieden.«
Tanner kam zu der Tafel und stellte sich neben ihn. »Also, wenn wir Houstons Bewegungsprofil folgen, dann weiß der, dass Ballencoa nach Oak Knoll gezogen ist. Wenn wir unserer ursprünglichen Annahme folgen, dass Hewitt Privatdetektiv ist, dann haben wir möglicherweise eine Verbindung zwischen ihm und Lauren.«
Sie zog mit einem Marker eine gestrichelte Linie von Hewitt und Lawton zu Mendez’ Fragezeichen in der Mitte.
»Lauren weiß, dass sich Ballencoa in Oak Knoll aufhält, weil Hewitt es ihr gesagt hat«, erklärte sie. »Durch seine Verbindung zu Houston weiß Ballencoa, wo Lauren wohnt.«
»Der Betrüger spielt auf beiden Seiten«, sagte Hicks.
»Aber auf welcher davon steht er wirklich?«, fragte Mendez. »Und wie kam der Kontakt mit Lauren zustande? Wenn sie einen Privatdetektiv engagieren wollte, wie gerät sie dann ausgerechnet an diesen Typ?«
»Er hat mit ihr Kontakt aufgenommen«, sagte Tanner. »Alles andere ergibt keinen Sinn. Er kommt zu ihr und sagt: ›Gute Frau, ich kann Ihnen helfen, wenn Sie entsprechend dafür zahlen. Ich weiß, wo Ballencoa ist, ich weiß, was er vorhat …‹ Es war nie ein Geheimnis, dass die Lawtons Geld haben. Vielleicht versucht er, die fünfzig Riesen in die Finger zu kriegen.«
»Indem er seinen alten Kumpel aufs Kreuz legt?«, fragte Mendez.
»Oder war das alles von Anfang an eine abgekartete Sache?«, fragte Hicks.
»Sie konnten sich nicht darauf verlassen, dass sie nach Oak Knoll zieht, um Ballencoa auf den Fersen zu bleiben«, sagte Mendez.
»Haben sie vielleicht auch gar nicht«, meinte Tanner. »Vielleicht gab’s das gratis obendrauf. Wenn Ballencoa nur sein Spielchen mit ihr treiben und Houston sie nur um ein paar Kröten erleichtern wollte …«
»Sie hat den Einsatz erhöht, indem sie hierhergezogen ist«, sagte Mendez.
»Und Roland hat ihn noch mal erhöht, indem er ihre Tochter fotografiert.«
Mendez starrte auf die Namen an der Tafel, seine Nerven waren so angespannt, dass sie förmlich vibrierten. Er dachte an das eingeschlagene Fenster an Ballencoas Hintertür und daran, dass Lauren nicht zu erreichen war. Er dachte an die Verzweiflung in ihren Augen und in ihrer Stimme. Sie wollte, dass das alles ein Ende hatte. Wenn sie sich nicht irrten, dann war sie hierhergekommen, um höchstpersönlich dafür zu sorgen.
»Es ist eine Sache, ein Spiel zu spielen, wenn alle Beteiligten wissen, dass es ein Spiel ist«, sagte er. »Für sie ist es kein Spiel. Für sie ist es blutiger Ernst.«
55
Das Tor stand offen. Lauren erkannte das Auto in der Einfahrt sofort. Greg Hewitt. Einen Moment lang war sie verwirrt. Wie hatte er es geschafft, das Tor zu öffnen? Und vor allem – warum war er überhaupt hier? Hatte er beschlossen, Leah doch im Auge zu behalten? So wie er auch eigenmächtig Ballencoa verfolgte, obwohl sie ihm erklärt hatte, sie wolle seine Hilfe nicht?
Kaum fand sie einmal etwas Gutes an ihm, war sie gleich darauf wieder genervt. Sie hatte ihm gesagt, sie wolle ihn nicht in der Nähe ihrer Tochter haben. Jetzt war er nicht nur in der Nähe, er war direkt auf ihrem Grundstück.
Er hatte das Tor geöffnet. Glaubte er, das bisschen Sex gab ihm das Recht zu tun, was er wollte? War er gekommen, weil er sie überreden wollte, ihm das Geld zu geben, das er dafür verlangte, Ballencoa auszuschalten?
Leah war nicht ans Telefon gegangen. Vielleicht hatte sie sich hingelegt, aber sie hatte einen leichten Schlaf, und das Telefon stand direkt neben ihr auf dem Nachttisch. Sie hätte es hören müssen.
Als sich der Anrufbeantworter einschaltete, hatte Lauren den Hörer des Münztelefons eingehängt und sämtliche Gedanken an Ballencoa beiseitegeschoben. Leah war allein zu Hause und ging nicht ans Telefon. Ballencoa konnte warten. Sie hatte seine Notizbücher. Sie musste sich zuerst vergewissern, dass ihre Tochter in Sicherheit war.
Die Angst, die sie erfasst hatte, war inzwischen nahezu unerträglich geworden. Der BMW stand noch nicht richtig, als sie auch schon heraussprang. Sie rannte zur Tür, den Schlüssel in der Hand.
Die Tür stand offen.
Lauren stürzte ins Haus, ohne Zeit mit der Frage zu verschwenden,
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