Schattennächte: Thriller (German Edition)
gebrochenen Rippen knacksen zu hören.
Der Chirurg hatte gesagt, dass sie sich für jemanden, dem ein Jagdmesser in den Rücken gerammt worden war, glücklich schätzen konnte. Sie hatte eine Menge Blut verloren, aber das Messer hatte keine wichtige Arterie erwischt und auch kein Organ. Ein Millimeter nach rechts oder links, und sie wäre tot gewesen.
Sie wäre tot gewesen, und ihre Tochter – die eine, die ihr geblieben war – wäre vermutlich wie ihre Schwester vergewaltigt und ermordet worden.
Obwohl Ballencoa Lauren nicht den Gefallen getan hatte, das Geständnis abzulegen, das sie immer gewollt hatte, sagte ihr etwas in ihrem Inneren, dass es vorbei war. Leslie war tot. Lauren war froh, dass die nächsten paar Tage die Medikamente den schlimmsten Schmerz dämpfen würden.
Sie hatte sich in dem Spiegel an der Wand gesehen. Ihr Gesicht war aschfahl und übel zugerichtet. Eines ihrer Augen war zugeschwollen. Über ihre Wange zog sich eine Schnittwunde von der Schläfe bis zum Mundwinkel. Mit irgendeinem Zaubermittel der modernen Medizin war sie wieder zusammengeklebt worden.
Sie würde sichtbare Narben davontragen, aber keine davon wäre vergleichbar mit den unsichtbaren Narben aus den letzten vier Jahren. Und auch diese wären nichts im Vergleich zu dem Schmerz, den sie empfand, wenn sie daran dachte, durch welche Hölle sie Leah geschickt hatte.
Anne Leone war im Zimmer gewesen, als Lauren endlich aufwachte. Lauren erfuhr, dass Anne sich von dem Moment an, als sie in die Notaufnahme gebracht worden waren, um Leah gekümmert hatte.
»Ich habe Ihnen doch gesagt, dass Sie mich nicht so schnell wieder loswerden«, sagte Anne ruhig. »Ich bin für Sie da, für Sie beide. Wann immer Sie mich brauchen.«
Lauren kämpfte mit den Tränen. »Wir werden Sie oft brauchen«, sagte sie, kaum lauter als ein Flüstern. »Ich habe so vieles falsch gemacht. Was ich getan habe – was ich ihr angetan habe …«
Anne legte einen Finger an die Lippen und schüttelte den Kopf. »Nein. Etwas Böses drang in Ihr Leben ein, und Sie haben getan, was Sie konnten.«
»Was heißt das schon.«
»Sie werden sich später damit auseinandersetzen, Lauren. Ich helfe Ihnen dabei. Aber fürs Erste sollten Sie sich darüber freuen, am Leben zu sein und diese wunderbare Tochter zu haben«, sagte Anne und deutete zu Leah, die im Nachbarbett lag und schlief. »Sie hat Ihnen das Leben gerettet. Sie sollten sich freuen und sich nicht vor Reue verzehren. Fangen Sie noch einmal neu an – Sie beide. Das ist ein Geschenk. Darauf sollten Sie sich von nun an konzentrieren.«
Dann sagte sie noch, Lauren solle sich jetzt ausruhen, und verließ leise das Zimmer, als Mendez und Tanner kamen.
Lauren sah die Polizistin aus Santa Barbara an. »Glauben Sie mir jetzt?«, fragte sie.
»Ich habe Ihnen immer geglaubt, Lauren«, sagte Tanner ruhig. »Mir waren nur die Hände gebunden. Es tut mir leid.«
»Es ist vorbei«, sagte Lauren. »Vorbei.«
»Wir möchten Ihnen gerne ein paar Fragen stellen. Glauben Sie, dass Sie dem gewachsen sind?«, fragte Mendez.
»Ja, ich muss es sein.«
Sie war erschöpft und bekam kaum Luft, aber sie musste endlich loswerden, welche Fehler sie gemacht hatte und welche grauenvollen Folgen ihr Handeln gehabt hatte. Sie musste ihnen sagen, was Ballencoa und Hewitt getan hatten, und so ihre Seele von all dem Bösen reinigen.
Tanner und Mendez schoben zwei Stühle an Laurens Bett, setzten sich und schrieben in ihren kleinen Spiralheften mit, was Lauren erzählte, obwohl ein Diktafon auf dem Tischchen neben dem Bett jedes Wort, das sie sagte, aufzeichnete.
»Ich habe ihm aus freien Stücken Zutritt zu unserem Leben gewährt«, sagte sie von Greg Hewitt. Das Schuldgefühl war kaum zu ertragen.
»Sie hatten keine Ahnung, wer oder was er war, Lauren«, sagte Tanner mit einer Sanftheit in der Stimme, an die Lauren sich nicht erinnern konnte. Sie hatte Tanner als ungeduldig und barsch kennengelernt. Vielleicht bin aber auch ich so gewesen , dachte sie. »Er war vom gleichen Kaliber wie Ballencoa. Zwei Männer, die andere Menschen auf brutale Weise missbrauchen.«
Lauren widersprach ihr nicht. Aber sie hätte Hewitts Angaben überprüfen sollen. Ein Anruf hätte genügt, um zu erfahren, ob er eine Zulassung als Privatdetektiv hatte oder nicht. Hätte es etwas geändert? Er war bereit gewesen, das zu tun, was sie von ihm forderte. Sie wollte sich um jeden Preis an Ballencoa rächen, dafür wäre sie mit dem Teufel
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