Schattenschwingen Bd. 1 Schattenschwingen
gelegentlich an ihrem Schwanz, was sie mit der Nonchalance einer Königin hinnahm. Am Teich trennten sich unsere Wege, weil Pingpong dazu überging, Libellen zu jagen, während es mich magisch zu dem versteckt hinter den Eiben liegenden Platz zog.
Auf der Bank zog ich meine Beine an, was gar nicht so leicht war, da die vom Fahrradunfall aufgeschabte Haut an meinen Knien spannte. In einem Anflug von Erschöpfung schloss ich die Augen und ließ sie auch geschlossen, als ich das leise Knacken von Zweigen hörte und das verräterische Kribbeln auf der Haut spürte, das Sams Nähe jedes Mal auslöste. Die Bank erzitterte leicht, als er sich neben mich setzte. Ohne mich zu rühren, wartete ich darauf, dass er etwas sagte. Doch er saß lange Zeit einfach nur neben mir und gemeinsam lauschten wir dem Zirpen und Rascheln des nächtlichen Gartens. Schließlich gab Sam als Erster seine Zurückhaltung auf und küsste mich auf die Schulter, bevor er mich in die Arme nahm. Vorsichtig betastete er meine aufgeschlagenen Knie. Sein Unterarm war mit Fetzen aus buntem Tuch umschlungen, die an einer Stelle mit frischem Blut durchnässt waren. Die Wunde, die Asami ihm zugefügt hatte, musste wieder aufgeplatzt sein.
»Reicht dir deine leicht knallige Freundin Lena nicht, musst du dir unbedingt noch einen wie Ranuken als Kumpel anlachen? Dieser Kindskopf macht doch wirklich nur Scherereien.« Sam bemühte sich, amüsiert zu klingen, nur kannte ich ihn mittlerweile zu gut dafür. Er war heute Nacht hierher gekommen, um eine Entscheidung herbeizuführen, nachdem die Ereignisse vor der Ruine unsere Pläne durcheinandergewirbelt hatten.
»Mila, du weißt, dass ich dich liebe.«
Bei diesem Geständnis zuckte ich unwillkürlich zusammen. Ja, das wusste ich, aber durfte man wegen der Liebe so viele Risiken eingehen? Ich schmiegte mich fester an Sam und versuchte zu erforschen, was ich für ihn empfand. Eine Vielzahl von Bildern und Gefühlen strömte auf mich ein und verwirrte mich. Nicht etwa, weil ich nicht zweifelsfrei wusste, wie meine Gefühle für ihn aussahen. Aber war es wirklich richtig, eine Liebesbeziehung mit ihm zu führen? Die Brutalität, mit der sich die Schattenschwingen auf der Versammlung attackiert hatten, stand mir lebendig vor Augen, genau wie das Bild des verführerischen Schattens, der mich für seine Zwecke missbraucht hatte, sich nicht einfach beiseiteschieben ließ. Ich wollte Sam, aber der Gedanke an die Sphäre mit all ihren dunklen Geheimnissen machte mir Angst. Dass Sam unerschütterlich an seinen Entscheidungen festhielt, wusste ich dagegen nur allzu gut. Er würde sehr weit dafür gehen, um bei mir zu sein. Vermutlich sogar zu weit.
Ich dachte an Rufus, der in diesem Moment angetrunken und ziemlich verwirrt zwischen unseren Eltern auf dem Sofa saß. An Asamis hasserfüllte Augen und an seine Hände, die mich fast zu fassen bekommen hätten. Wie wäre es meinen Eltern ergangen, wenn sie ihr Ziel nicht verfehlt hätten? Wenn ich in der Sphäre gestorben wäre?
»Ich liebe dich auch«, erwiderte ich schließlich. Es war die Wahrheit. »Aber ich liebe auch andere Menschen und die darf ich nicht verletzen.«
»Das sollst du ja auch gar nicht.« Sam schien nicht überrascht zu sein. »Ich werde alles tun, was in meiner Macht steht, damit das nicht geschieht. Gibst du mir noch eine Chance, Mila?«
In mir tat sich ein Zwiespalt auf, von dem ich nicht wusste, wie ich ihn überwinden sollte. Da war Sam, den ich so sehr liebte, dass es fast wehtat. Aber ich konnte mir den Luxus nicht leisten, nur ihn zu sehen und alles andere zu vergessen. Sams Wärme umfing mich, tröstend und erregend zugleich und ich hielt mich an ihr fest. Wie konnte es nur so schwer sein, die richtige Entscheidung zu treffen?
»Ich möchte uns eine Chance geben, wirklich. Aber ich habe Angst, dass es sich als Fehler erweist, für den jemand anderer zahlen muss.«
»Hast du denn kein Vertrauen zu mir?«
»Doch, dass habe ich. Aber ich habe kein Vertrauen mehr in die Sphäre. Dort lauert etwas, Sam. Und es hat schon mehr als einmal nach mir gegriffen.«
Sanft umfasste Sam mein Kinn und schaute mich prüfend an. »Ich wünschte, ich könnte dir versprechen, dass das nicht wieder passieren wird. Nur leider kann ich das nicht - noch nicht. Unter den Schattenschwingen herrscht nach dem, was gestern Nacht passiert ist, immer noch völliges Chaos. Aber selbst wenn einige von ihnen eine Ahnung haben sollten, was dir und uns während der Versammlung
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