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Schattenstunde

Schattenstunde

Titel: Schattenstunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kelley Armstrong
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Fingernagel aufbekam. Lange Nägel hatte ich nicht, aber der Hausschlüssel funktionierte problemlos.
    Was für eine Woche. Auf die Auswahlliste für den Regiestuhl zu kommen, von Nate nach der Party gefragt zu werden, meine erste Periode und jetzt meine erste kriminelle Handlung.
    Nachdem ich da unten alles in Ordnung gebracht hatte, schob ich die Hand in den Rucksack, um die Haarbürste herauszuholen, und fand stattdessen die Tube mit Tönungscreme. Ich hob sie hoch. Mein Spiegelbild grinste mich an.
    Warum eigentlich nicht noch »erste geschwänzte Schulstunde« und »erste Tönung« auf die Liste setzen? Mir am Waschbecken des Schulklos die Haare zu färben würde nicht einfach sein, aber wahrscheinlich immer noch einfacher als zu Hause, wo Annette auf der Lauer lag.
    Die Erstellung eines Dutzends leuchtend roter Strähnchen kostete mich zwanzig Minuten. Ich hatte das T-Shirt ausgezogen, um keine Farbe darauf zu verspritzen, und stand folglich in Jeans und BH am Waschbecken. Glücklicherweise kam niemand herein.
    Ich drückte die letzte Strähne mit einem Papiertuch trocken, holte tief Atem, sah in den Spiegel … und lächelte. Kari hatte recht gehabt. Es sah wirklich gut aus. Annette würde ausrasten. Mein Vater würde es vielleicht bemerken, möglicherweise sogar wütend werden. Aber ich war mir ziemlich sicher, dass niemand mir jetzt noch die Speisekarte für die unter Zwölfjährigen bringen würde.
    Die Tür knarrte. Ich stopfte die Papiertücher in den Eimer, packte mein T-Shirt und stürzte in eine Kabine. Ich hatte die Tür kaum verriegelt, als das andere Mädchen zu weinen begann. Als ich nach unten sah, entdeckte ich ein Paar Reeboks in der Nachbarkabine. Sollte ich fragen, ob alles in Ordnung war? Oder würde ich sie damit nur in Verlegenheit bringen?
    Die Spülung wurde bedient, und der Schatten drüben bewegte sich. Die Kabinentür ging klickend auf. Aber als das Wasser am Waschbecken zu laufen begann, wurde das Schluchzen noch lauter.
    Das Wasser wurde abgestellt. Die Handtuchrolle quietschte. Papier wurde zusammengeknüllt. Die Tür öffnete sich. Sie schloss sich. Das Weinen hörte nicht auf.
    Ein kalter Finger schien an meinem Rückgrat entlangzugleiten. Ich sagte mir, dass sie es sich einfach anders überlegt hatte und hier bleiben wollte, bis sie sich unter Kontrolle hatte. Aber das Weinen war unmittelbar neben mir. In der Nachbarkabine.
    Ich ballte die Hände zu Fäusten. Es war einfach nur meine Einbildungskraft.
    Langsam ging ich in die Hocke. Keine Schuhe unter der Trennwand. Ich beugte mich noch weiter vor. Keine Schuhe in irgendeiner der Kabinen. Das Weinen brach ab.
    Ich zerrte mir das T-Shirt über den Kopf und stürzte aus der Mädchentoilette, bevor es wieder anfangen konnte. Als die Tür hinter mir zufiel, war alles still. Ein leerer Gang.
    »Du!«
    Ich fuhr herum, sah einen Hausmeister auf mich zukommen und stieß einen Seufzer der Erleichterung aus.
    »D-das Klo«, sagte ich. »Ich war nur auf dem Klo.«
    Er kam näher. Ich erkannte ihn nicht. Er war etwa im gleichen Alter wie mein Dad, hatte einen Bürstenhaarschnitt und trug die Hausmeisteruniform unserer Schule. Jemand, der für Mr. Teitlebaum einsprang.
    »Ich … ich gehe jetzt wieder ins Klassenzimmer.«
    Ich setzte mich in Bewegung.
    »Du da! Komm zurück, ich will mit dir reden.«
    Das einzige andere Geräusch waren meine Schritte.
Meine
Schritte. Warum konnte ich seine nicht hören?
    Ich ging schneller.
    Ein Schatten überholte mich. Die Luft schimmerte etwa drei Meter vor mir, wo ein Mann in Hemd und Hose eines Hausmeisters Gestalt anzunehmen begann. Ich fuhr herum und begann zu rennen.
    Der Mann stieß ein Knurren aus, das im Gang widerhallte. Ein Schüler kam um die Ecke, und wir wären beinahe zusammengeprallt. Ich stammelte eine Entschuldigung und warf einen Blick über die Schulter. Der Hausmeister war verschwunden.
    Ich atmete tief aus und schloss die Augen. Als ich sie wieder öffnete, war das blaue Uniformhemd unmittelbar vor mir. Ich sah auf … und stieß einen gellenden Schrei aus.
    Er sah aus wie eine Schaufensterpuppe, die zu dicht ans Feuer geraten ist. Das Gesicht war verbrannt. Geschmolzen. Ein Auge quoll hervor, vollkommen freigelegt. Das andere war auf den Wangenknochen hinuntergerutscht, die ganze Wange sackte herab, die Lippen waren verzerrt, die Haut glänzend und verunstaltet und …
    Die formlosen Lippen öffneten sich. »Vielleicht hörst du mir jetzt zu.«
    Ich stürzte blind den Gang

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