Schattentraeumer - Roman
anderen?
Meine Sympathie gilt tatsächlich Zypern – nicht einer Seite, einer Kultur, einer Nationalität oder einer Religion. Alle Parteien
haben Fehler gemacht und Grausamkeiten begangen: die Briten, die Türken und die Griechen. Genauso wenig hat eine Nationalität
oder eine der Seiten das Monopol auf ihr Leiden. Zahllose unschuldige türkische und griechische Zyprer haben ihr Leben verloren,
Menschen, die sie liebten, ihr Heim. Die einzigen Gewinner in einem Krieg sind Not und Elend und vielleicht diejenigen, die
am Wiederaufbau verdienen.
Wie nah ist die Geschichte im Buch wahren Begebenheiten, die Sie miterlebt haben oder von denen man Ihnen erzählt hat?
Ich hoffe, dass jeder, der die traurige Geschichte dieser wunderschönen Insel kennt, die Sorgfalt meiner Recherche bemerken
wird. Wenn auch die Helden meiner Geschichte erfunden sind, so ist doch alles, was sie erleben, real: vom EOKA-Auf stand während der britischen Besatzungszeit über die offene Gewalt in den Sechzigern bis zum griechischen Coup und der darauffolgenden
türkischen Invasion. Ich habe eine Menge historischer und politischer Bücher über diese Zeit gelesen und auf beiden Seiten
der Demarkationslinie Museen besucht und mit den Männern und Frauen gesprochen, die diese Zeit noch erlebt haben. Trotz des
Schmerzes, des Zorns und der Trauer, die sowohl die türkischen als auch die griechischen Zyprer noch im Herzen tragen, gibt
es auch ein überwältigendes Gefühl des Verlustes – des Verlustes einer lange vergangenen Zeit, als beide Volksgruppen friedlich
nebeneinander leben konnten.
Kennen Sie reale Personen, die unter der Teilung der Insel so gelitten haben wie Ihre Protagonisten Loukis und Praxi?
Die meisten Menschen, denen man auf Zypern begegnet, sind von der Teilung betroffen oder haben unter den Ereignissen gelitten,
die zu der Teilung geführt haben. Dies kann aufganz unterschiedliche Weise geschehen sein. Noch als ich im Jahr 2009 nach Zypern gezogen bin, traf ich auf Menschen, die
weiterhin unfähig sind, über ihre Erfahrungen zu sprechen, weil ihre Trauer einfach zu groß ist. Das hat mir wirklich die
Augen dafür geöffnet, wie tief und wie akut die Wunden nach so vielen Jahren noch sind. Diese Menschen werden ihre Verletzungen
noch mit ins Grab nehmen.
Wie beurteilen Sie die aktuelle Situation auf Zypern?
Ich sehe eine Insel, die durch tragische politische Umstände geteilt wurde. Traurigerweise sehe ich zugleich eine Tendenz,
mit dem Finger auf den jeweils anderen zu zeigen und ihm die Schuld zuzuschieben, während in Wirklichkeit jeder der Beteiligten
sein Maß an Schuld für diese Situation trägt.
Das gilt übrigens nicht nur für die Insel selbst, sondern auch für alle international Beteiligten.
Sehen Sie irgendeine Chance auf ein normales, friedliches Leben auf der Insel?
Heute herrscht auf Zypern Frieden. Ob es jedoch möglich sein wird, eine Lösung zu finden, die zu einer Wiedervereinigung führt,
bleibt fraglich. Ich mag die Hoffnung darauf nicht verlieren, aber zugleich kann ich auch das Widerstreben auf beiden Seiten
verstehen, die eigene Vergangenheit loszulassen und die Hindernisse niederzureißen, die einer vereinten Zukunft im Wege stehen.
Leseprobe aus
Andrea Busfield
Mauertänzer
Roman
Aus dem Englischen von Cornelia Holfelder-von der Tann
1
Ich heiße Fawad, und meine Mutter sagt, ich bin im Schatten der Taliban geboren.
Mehr sagte sie nicht, und ich sah vor mir, wie sie einen Schritt aus der Sonne ins Dunkle machte, sah sie in einem Winkel
kauern, um den Bauch, in dem ich war, zu schützen, weil da ein Mann mit einem Stock stand, bereit, mich auf die Welt zu prügeln.
Aber dann wurde ich größer und merkte, dass ich nicht als Einziger in diesem Schatten geboren worden war. Da waren zuerst
mal mein Cousin Jahid und das Mädchen Jamilla – wir nahmen zusammen die Ausländer auf der Chicken Street aus –, und dann war
da noch mein bester Freund Spandi.
Bevor ich ihn kannte, war Spandis Gesicht von Sandmücken zerstochen worden, und das Einjahresgeschwür hatte auf seiner Wange
einen faustgroßen Krater hinterlassen. Das störte ihn aber nicht weiter und uns auch nicht, und während wir Übrigen in der
Schule waren, verkaufte er fetten Ausländern Spand, was der Grund dafür war, dass wir ihn Spandi nannten, obwohl er eigentlich
Abdullah hieß.
Ja, wir alle waren in der Zeit der Taliban geboren, aber wenn
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