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Schattentraeumer

Schattentraeumer

Titel: Schattentraeumer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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Streik zum Dauerzustand erklärt und mein Handy schaltete ich gar nicht mehr an. Es war sinnlos. Doch die Briefe zeigten, dass ich existierte und als einer von ihnen betrachtet wurde. Ein Mensch. Sie alle dachten, ich sei ein Mensch – zugegeben ein verschrobenes und eigenbrötlerisches Exemplar, aber ein Mensch.
    Langsam drehte ich mich um und blickte in den runden, leicht angelaufenen Flurspiegel, ein Erinnerungsstück aus Schottland. Wie immer brauchte ich einige Minuten, bis ich durch den Nebel, der sich angesichts meiner Selbst vor meinen Augen bildete, etwas erkennen konnte.
    Nach all diesen Jahren wusste ich immer noch nicht, ob ich schön oder hässlich war. Nur in einem war ich mir sicher: Dass ich nicht gewöhnlich aussah. Hier, im Dämmerlicht des Flurs, glühten meine Augen wieder kohlrabenschwarz und meine langen, gebogenen Mädchenwimpern warfen dünne Schatten auf die hoch sitzenden Wangenknochen. Meine Haare führten ein vollkommen eigenständiges Dasein, bewegten sich ohne die Einwirkung von Luft wie züngelnde Schlangen auf meinem Kopf; minimal nur, aber wer genau hinschaute, musste es erkennen. Kurios: Die Menschen bemerkten es dennoch nicht. Noch nie hatte mich jemand darauf angesprochen. Wollten sie nicht sehen, was sie nicht glauben konnten? Dazu meine Haut – so bleich … nein. Weiß. Sie war weiß wie das Laken auf meinem Bett, ohne dass Adern hindurchschimmerten. Mit meiner Nase war ich einverstanden, sie funktionierte prächtig und besaß eine markante Form. Eben eine Männernase. Das war in Ordnung. Aber mein Mund? Hart oder weich – was war er eigentlich? Die Mundwinkel kräuselten sich, wenn ich lächelte, doch wie meistens wirkte dieses Lächeln auch jetzt kalt und zynisch auf mich.
    Was würde sie denken, wenn sie mich sah – das schlafende Mädchen aus der Bushaltestelle? Oh, das wäre leicht herauszufinden, ich müsste mich ihr nur zeigen und in ihre Gedanken schauen. Sie würde es mir leicht machen.
    Würde ich sie dabei abschrecken wie so viele andere Mädchen und Frauen zuvor? Die erst dann glaubten, etwas Schönes und Anziehendes in mir zu sehen, wenn ich sie manipulierte? Was ich aufgegeben hatte, schon vor Jahren. Auch damit hielt ich die Dämonen in mir fern. Askese. Eine Geisteshaltung, die harschen Gegenwind bekommen hatte, seit sie in diesem Ort eingetroffen war.
    Ich drehte meinen Kopf ein Stück zur Seite, sodass meine Ohrringe funkelnd das wenige Licht einfingen, das durch die Wohnzimmerfenster ins Haus drang. Draußen wurde es immer finsterer. Ich hatte das Unwetter bereits heute früh kommen gespürt. Auch Louis schnaubte schon den ganzen Tag unruhig. Er wollte sich bewegen, war das Herumstehen leid. Der Paddock war zu klein für ihn; ich würde Bäume fällen und einen größeren errichten müssen. Ja, genau, das würde ich in den nächsten Wochen abends und nachts tun. Es war gut, einen Plan zu haben. Pläne waren menschlich. Und ein paar Jahre würde ich hier noch bleiben können, bis meine Kollegen und Vereinsgenossen anfingen zu bemerken, dass sich keine Fältchen in mein Gesicht schlichen und meine Kraft beim Kämpfen niemals nachließ. Dass sich nichts an mir veränderte – rein gar nichts. Dann würde ich erneut über Nacht verschwinden müssen und sie würden mich binnen weniger Wochen vergessen haben. So war es immer gewesen.
    Aber noch war diese Zeit nicht gekommen. Und daran durfte auch die Ankunft des Mädchens nichts ändern.
    Wieder tönte Louis’ kräftiges Schnauben durch die schwere Luft, als würde er mich rufen. Ich nahm seine Trense vom Haken an der Wand und schritt nach draußen, zum Paddock hinüber, wo er mich mit einem vorwurfsvollen Wiehern begrüßte. Mit abgewandtem Blick näherte ich mich ihm – er hätte mir auch vertraut, wenn ich ihn direkt angesehen hätte, doch ich betrachtete es als mein Zeichen des Respekts, seine Fluchttier-Natur zu berücksichtigen. Es war für mich eines der Wunder dieser Welt, dass Pferde mich auf ihrem Rücken duldeten, sobald ich ihnen bewiesen hatte, dass ich ihnen nichts Böses wollte. Aber eigentlich ging es gegen ihren Instinkt. Denn Raubtiere waren ihre Todfeinde.
    Eine Armeslänge vor Louis blieb ich stehen, noch außerhalb des Gatters, und wartete, bis seine Nüstern mein Gesicht behutsam streiften. Erst dann legte ich meine kalte Hand auf sein sonnenwarmes schwarzes Fell und schob sie langsam unter die dichte Mähne. Wie schön und anmutig er doch war – ungewollt und ungeplant, ein Weideunfall,

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