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Schattentraeumer

Schattentraeumer

Titel: Schattentraeumer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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spürte es mit jedem meiner so überflüssigen Atemzüge. Seit Stunden, nein, seit Tagen kämpfte ich und doch würde es sinnlos bleiben. Ich hatte mich ihr bereits zu sehr genähert. Warum hatte ich das getan, wo ich doch wusste, dass jede Annäherung an ein weibliches Menschenwesen nur mit dem absoluten Grauen enden konnte – und zwar nicht nur für sie und jene, die sie liebten, sondern auch für mich?
    Noch immer dominierten meine Triebe meine Gedanken – sie entflammten rascher, als mein Verstand dagegen protestieren konnte. Neue Seelen witterte ich wie Wölfe ein verletztes, schwaches Tier und ich hatte ihre sofort bemerkt. Ein Wunderwerk von einer Mädchenseele; zart, wild, mit Widerhaken. Köstlich. Aber niemand hatte mich dazu gezwungen, mich ihr vor ein paar Tagen zu nähern, als sie am ersten Abend nach ihrer Ankunft durch das einsame Dorf geirrt war, auf berührende Weise völlig verkehrt angezogen für diese Waldwildnis, ihr Herz schwer – und noch etwas anderes war da gewesen, was bitter roch, ein süßer Hauch von Gift. Angst. Sie hatte sich gefürchtet.
    Warum war ich ihr dennoch durch den Frühlingsnebel entgegengeritten, bis sie mich sehen konnte? Zwar musste ich in ihren Augen wie eine Geistererscheinung gewirkt haben, eine Halluzination, die Menschen sofort verdrängen, aber sie hatte mich bemerkt. Ach, meine Frage war frustrierend leicht zu beantworten, es war mein Hunger gewesen, der mich dazu getrieben hatte. Nach zwei Tagen Jagdpause war er so stark gewesen, dass ihn selbst ihre Angst nicht abhalten hätte können, zumal sie nicht mir galt, sondern der Fremde, in die sie von ihren Eltern versetzt worden war, und der Ungewissheit ihrer Zukunft. Doch jeder Gedanke an sie und ihre Verletzlichkeit, jede Erinnerung an unsere Begegnung waren Geschenke an meinen Hunger, die ich ihm nicht geben durfte.
    So aufmerksam wie möglich ließ ich meine Augen durch die Räume gleiten – eine Technik, die ich oft anwandte, um zurück in die Gegenwart zu finden, wenn der Dämon in mir durchzubrechen drohte. Wie immer besänftigte der Anblick meines Heims das Zerren und Ziehen in mir ein wenig. Da standen der Fernseher und die Stereoanlage, schicke, teure Designergeräte, die nie in Betrieb waren, weil die Satellitenantenne keinen vernünftigen Empfang bekam und jede CD zu springen begann, von MP3-Dateien ganz zu schweigen. Trotzdem waren sie hier, gaukelten Normalität und Zeitgeist vor, genauso wie meine Nobelküche mit dem chromblitzenden Standmixer, dem Cerankochfeld und einem Wasserhahn, der Profiköche neidisch werden lassen würde. Wie oft hatte ich den Herd in all den Jahren benutzt? Ein, zwei Mal für meine Kollegen vom Forstamt, denen ich ein frisch geschossenes Reh zubereitet hatte, von dem ich ebenfalls widerwillig ein paar Bissen genommen hatte. Der Backofen roch nach wie vor penetrant nach Kunststoff, wenn ich ihn anschaltete.
    Immerhin, ich hatte ihn benutzt. Nur das zählte. Ich hackte Brennholz und feuerte den Kamin an, obwohl ich nie fror, ich hatte ein Bett, obwohl ich nie schlief, und ich badete und duschte, obwohl meine Haut selbst nach acht Stunden härtester Waldarbeit im Hochsommer so sauber und verführerisch roch, dass es mich manchmal anekelte.
    Ich hatte nicht nur meine Katzen, die mir ihre ganz eigene Form der ungebundenen Treue entgegenbrachten und von denen der pechschwarze Mr   X ganz besonders an mir hing, sondern auch Louis, meinen Hengst, mit dem ich mich verbundener fühlte, als ich es je mit einem anderen Wesen erlebt hatte. Oft streiften wir tagelang zusammen durch den Wald oder fuhren an Wochenenden zu Dressurturnieren. Auch das – ein Teil menschlichen Lebens.
    Ich nahm an Wettbewerben teil, in gleich zwei Disziplinen, Dressurreiten und Kampfsport. Oh, ich war sogar ordentliches Vereinsmitglied, etwas, über das ich schmunzeln musste. Mich konnte so ziemlich niemand in diesem Verein ausstehen, aber Sportler besitzen die merkwürdige Fähigkeit, zwischen Sympathie und Anerkennung zu trennen. Anerkennung für mein Talent verweigerte mir dort fast niemand. Mit zwanzig Jahren den dritten DAN-Grad, das musste man erst einmal schaffen. Ihr Narren, dachte ich bitter. Zwanzig Jahre. Habt ihr eine Ahnung, wie lange ich schon zwanzig bin und wie hart ich dafür trainiert habe.
    Trotzdem. Ich war Mitglied in einem Verein, bekam regelmäßig Post von dessen Vorsitzenden, wie auch von der Universität und meinen Vorgesetzten. Sie mussten mir schreiben. Mein Laptop hatte seinen

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