Schattenwandler 03. Elijah
Frau mit einer mütterlichen Zärtlichkeit über das Haar, die darüber hinwegtäuschte, dass Mary selbst schon fast hundert Jahre alt war. Es war zutiefst unnatürlich und musste selbst den Menschen um sie herum äußerst unheimlich vorkommen. Vielleicht wäre das auch so gewesen, wenn deren Augen nicht durch Hass und Furcht geblendet gewesen wären.
Es war unbegreiflich, dass diese beiden Frauen Elijahs eigenem Volk angehörten – diese Abtrünnigen, die sich offen mit diesen böswilligen Magierinnen und mit diesen selbstgerechten Jägerinnen zusammenschlossen, die in ihm einen so unheiligen Zorn entfachten. Natürlich wusste Elijah, worin die noch größere Ironie lag: Niemand von den Sterblichen hatte bemerkt, dass die beiden Frauen zu genau der Gattung gehörten, der sie nun mit dem Angriff auf ihn den Krieg erklärten. Keiner von ihnen war klar, dass Ruth von einer abartigen, fehlgeleiteten Rachgier getrieben wurde und dass sie sie nur benutzte – als Waffe, die sie gegen ihr einstiges Volk richten konnte.
Für die Sterblichen war sie nur eine überaus schöne, kluge Menschenfrau. Vielleicht auch eine begnadete Magierin, falls sie ihnen gezeigt hatte, mit welcher Meisterschaft sie bestimmte Aspekte des Elements Geist beherrschte. Diese Dämonin und ihre Tochter hatten die Menschen dazu angestachelt, Opfer anzugreifen, die von den Sterblichen niemals so leicht und so mühelos aufgespürt worden wären. Mit jedem Tag, den Ruth auf der anderen Seite der von diesen wahnsinnigen und fehlgeleiteten Menschen geschaffenen Trennlinie stand, würde sie ihnen mehr über die Dämonengattung enthüllen. Es würde nicht mehr lange dauern, bis sie ihnen alle notwendigen Mittel an die Hand gab, ihre ehemaligen Freunde zu vernichten. Darüber hinaus waren auch alle anderen Schattenwandler, ob nun unschuldig oder nicht, durch Ruths über Jahrhunderte angesammeltes Wissen bedroht.
Das Einzige, was für die Menschen zählte, war ihre Angst vor dem Unbekannten, ihre Furcht vor Geschöpfen, die stärker waren, als sie sich je vorstellen konnten, und sie in der Überzeugung bestärkten, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis diese in der Nacht zum Leben erwachenden Wesen über die Menschheit herfielen, wie Mythen und Legenden das immer wieder vorhergesagt hatten. Dabei spielte es keine Rolle, dass jede Schattenwandlergattung das allein im vergangenen Jahrtausend unzählige Male hätte tun können, wenn sie gewollt hätte.
Mit Bitterkeit spürte Elijah, dass die Sterblichen selbst dann, wenn jemand ihnen die Wahrheit eröffnete, von allen Schattenwandlern nur das Schlimmste befürchteten, weil sie von hartnäckigen Vorurteilen und Ängsten beherrscht wurden. Der einzige Gedanke, der Elijah in diesem Moment tröstete, war, dass sein Tod dazu führen würde, dass die Ältesten und Mächtigsten seiner Art Vergeltung üben würden und dass dies dann sehr wahrscheinlich das Ende dieses Aufbegehrens des Bösen bedeutete.
„Du Ausgeburt der Hölle!“, zischte Ruth mit boshaftem Vergnügen und stachelte damit den Blutdurst der Frauen um ihn herum an. „Du Teufel in Menschengestalt!“ Sie lächelte und sagte mit leiser Stimme: „Elijah, der mächtige Heerführer!“ Dann lachte sie, und der Klang ihrer Stimme war verwirrend schön, während sie sich vorbeugte und ihn prüfend betrachtete. Flüsternd, sodass die anderen nicht mitbekamen, wie vertraut sie sich waren, fügte sie hinzu: „Noahs kleiner gehätschelter Pitbull, nur von Frauen zu Fall gebracht. Ich kenne deine Gedanken, Winddämon. Es wird keine Vergeltung in deinem Namen geben. Wenn wir fertig sind, werden sie nie mehr irgendetwas von dir finden.“
Ruth richtete sich wieder auf und warf mit einem gleichmütigen Lächeln ihr langes, üppiges blondes Haar zurück. Sie küsste ihr über alles geliebtes Kind auf die Wange, falls man einen heranwachsenden Dämon von fast neunzig Jahren als Kind bezeichnen konnte. Mary lächelte daraufhin unterwürfig, was Elijah den Magen umdrehte. Aber im Vergleich zu den Erwachsenen und Älteren ihrer Art und auch verglichen mit den Heranwachsenden ihres Alters war sie ein Kind. Obwohl sie die Schönheit und den voll entwickelten Körper einer Frau besaß, war sie, was Gefühl und Verstand betraf, noch ein kleines Mädchen, das völlig unter dem Einfluss seiner Mutter stand.
Warum hatte niemand Ruths emotionale Loslösung von den Dämonen bemerkt? Als Geistdämon hatte sie zweifellos die Wahrnehmung erfahrener Geistdämonen blockiert.
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