Scheibenwelt 02 - Narren Diebe und Vampire
richtigen Zeitpunkt am richtigen – oder manchmal auch am falschen – Ort aufhält.
<< Der Abt von Oi Dong
In letzter Zeit (sofern sich dieser Begriff in diesem Fall anwenden lässt) mussten sich die Mönche mit zwei großen Problemen auseinandersetzen: dem Quantenuniversum und dem städtischen Wachstum. Doch in dem, was derzeit allgemein als Gegenwart bekannt ist, lässt sich die einstmals entspannte und gemächliche Arbeit eines Geschichtsmönchs eher mit der eines Feuerwehrmanns in einem Vulkan vergleichen. Genauso wie große wachsende Städte einen unersättlichen Bedarf an Trinkwasser haben, benötigen sie auch erheblich mehr Zeit als ländliche Gegenden, und die riesigen »Zauderer«-Maschinen tief im Berg unter dem Kloster brummen Tag und Nacht vor sich hin, um auf der ganzen Welt Zeit zu sammeln und umzuverteilen. Kurz gesagt, die traditionelle Aufgabe der Mönche, die Geschichte zu lenken, weicht immer mehr der hektischen Bemühung, überhaupt genug Zeit zusammenzukratzen, in der Geschichte stattfinden kann. Manchmal wird Zeit zurückgeholt und gereinigt, um noch einmal benutzt zu werden. Oder sie wird aus langweiligen Epochen der Vergangenheit geschürft, um in der Gegenwart wiederverwertet zu werden. Infolgedessen stellt sich die Geschichte nun eher als Flickwerk dar – und nicht nur das, denn dieses Flickwerk ist wiederum aus anderen Flickwerken zusammengeflickt, die sich über mindestens sieben Dimensionen erstrecken. Die meisten Leute merken nichts davon, weil sie glauben, dass Déjà-vu-Erlebnisse und Hellseherei psychische Phänomene sind statt Hinweise auf schlampige Zeitverarbeitung. Wenn man mit der letzten Minute bis zur letzten Minute warten muss, bleibt oft nicht genug Zeit, um sie von allen Flecken zu reinigen.
Das Kloster selbst verweilt in einem perfekten Tag, der permanent von den Maschinen im Keller recycelt wird. Ereignisse finden statt, aber es vergeht keine Zeit. Jeden Tag stehen die Kirschbäume in Blüte, und weiße Tauben fliegen durch die kühle Bergluft. Doch (abgesehen von einer signifikanten Ausnahme) reifen niemals Kirschen heran und schlüpfen niemals Küken aus den Taubeneiern.
Der Garten der fünf Überraschungen
Lu-Tze sagt: »Die Überraschung ist das Wesen der Zeit, und die Zahl der Überraschung ist die Fünf.«
Der Garten der Fünf Überraschungen des Kehrers entwickelte sich aus seiner lebenslangen Suche nach der wahren Perplexität, dem Geisteszustand, der der Erleuchtung unmittelbar vorausgeht. Lu-Tze selbst hat nie nach der Erleuchtung gestrebt, weil er glaubt, dass sie wahrscheinlich ganz nett, aber ziemlich langweilig ist. Es muss immer Überraschungen geben, sagt er.
Und deswegen hat er den Garten der Vier Elemente angelegt. Bisher ist es noch jedem Novizen des Klosters gelungen, die Bronzesymbole von drei Elementen zu finden – im Karpfenteich (Wasser), unter einem Stein (Erde), auf einen Drachen gemalt (Luft). Doch keiner hat bislang das Symbol für Feuer entdeckt. Nirgendwo in diesem Garten scheint es Feuer zu geben.
In Wirklichkeit sind es sogar fünf Elemente. Vier davon bilden das Universum, und das fünfte, die Überraschung, sorgt dafür, dass im Universum immer wieder etwas passiert. Die vier Elemente im Garten waren gar nicht die materiellen vier, sondern das vierte war die Überraschung, dass es eben kein Symbol für Feuer gab. Feuer hat für gewöhnlich nichts in einem Garten zu suchen, und die anderen Zeichen sind buchstäblich in ihrem Element. Das Symbol für das fünfte Element befand sich in einem Ofen in einer Bäckerei des Klosters.
Im Garten der Fünf Überraschungen des Kehrers ist die erste eine kleine Brücke, die bei Betreten zur Seite kippt und den Wandelnden in den Karpfenteich fallen lässt. Die zweite ist die Bronzeskulptur eines Schmetterlings, der mit den Flügeln schlägt, wenn man ihn anhaucht. Die dritte Überraschung sind vereinzelte Gänseblümchen, die einen mit giftigen Pollen bestäuben. Die vierte ist eine jodelnde Stabheuschrecke.
Die fünfte, so heißt es, ist davon abhängig, wer sich im Garten befindet. Bei einer Gelegenheit stellte sich die fünfte Überraschung als billige Karnevalsmaske heraus, eine von denen, die aus einer falschen Brille mit angeklebter großer roter Nase und einem dichten schwarzen Schnurrbart bestehen. Wenn ihm danach war, setzte Lu-Tze diese Maske auf, wackelte ein paarmal mit den Ohren und rief schließlich: »Buh!«. Worauf er dem solchermaßen überraschten Schüler erklärte:
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