Der verborgene Stern
1. KAPITEL
C ade Parris hatte nicht gerade seinen besten Tag, als seine Traumfrau in sein Büro spaziert kam. Keine vierundzwanzig Stunden zuvor hatte seine Sekretärin gekündigt. Die Dame war zwar nicht sonderlich tüchtig gewesen und hatte sich mehr für ihre Fingernägel als für das klingelnde Telefon interessiert, aber sie hatte zumindest Ordnung in sein Chaos gebracht. Selbst die Gehaltserhöhung, die er ihr aus blanker Verzweiflung angeboten hatte, hatte sie nicht dazu bewogen, ihren Entschluss, Countrysängerin zu werden, noch einmal zu überdenken.
Die treulose Seele war jetzt also in einem gebrauchten Pick-up auf dem Weg nach Nashville, während Cades Büro den schlaglöchrigen Straßenverhältnissen ähnelte, mit denen sie sich hoffentlich herumschlagen musste. In den letzten ein bis zwei Monaten hatte sie sich offenbar überhaupt nicht mehr um ihre Arbeit gekümmert. Das wurde ihm spätestens klar, als er ein altes Wurst-Sandwich aus dem Aktenschrank fischte. Zumindest vermutete er, dass es sich bei dem fettigen Klecks in der Papiertüte um Wurst handelte. Er entdeckte die Tüte unter dem Buchstaben L einsortiert – L für Lunch?
Er fluchte nicht einmal, und er nahm auch das Telefon nicht ab, das ununterbrochen aus dem Empfangsbereich herüberklingelte. Er musste seine Berichte jetzt selbst abtippen, und nachdem das Tippen nicht gerade zu seinen Stärken zählte, wollte er es einfach so schnell wie möglich hinter sich bringen.
Parris Investigations konnte man nicht gerade als florierendes Unternehmen bezeichnen. Aber Cade reichte es, und er fühlte sich wohl, selbst in dem winzigen Zwei-Raum-Büro im Dachgeschoss eines abgewrackten Gebäudes mit schlechten sanitären Anlagen im Nordwesten von Washington D.C.
Er brauchte keine vornehmen Teppiche oder eleganten Möbel. Mit all diesem Pomp war er aufgewachsen. Jetzt, mit dreißig, nach einer gescheiterten Ehe und einer Familie, die sich immer noch darüber ärgerte, welchen Weg er eingeschlagen hatte, war er im Großen und Ganzen zufrieden.
Inzwischen hatte er sich einen recht anständigen Ruf als Privatermittler aufgebaut. Er verdiente genug Geld, um den Laden über Wasser zu halten. Gut, momentan stellte sein Verdienst ein kleines Problem dar. Er durchlebte eine – wie er es nannte – vorübergehende Flaute. Außerdem handelte es sich bei den meisten seiner Aufträge lediglich um Versicherungsfälle, die mit Unmengen an Schreibkram verbunden waren. Nicht ganz so aufregend wie das, was er sich vorgestellt hatte, als er entschied, Detektiv zu werden.
Bis auf zwei belanglose Fälle von Versicherungsbetrug gab es zurzeit keine neuen Aufträge. Dafür hatte der Blutsauger von Vermieter schon wieder die Miete erhöht, der Motor des Wagens gab in letzter Zeit merkwürdige Geräusche von sich, und die Klimaanlage war im Eimer. Außerdem schien das Dach mal wieder undicht zu sein. Cade nahm den spindeldürren gelbblättrigen Philodendron, den seine Sekretärin zurückgelassen hatte, und stellte ihn auf den nackten Fußboden unter das Tröpfeln, in der Hoffnung, dass die Pflanze ersaufen möge.
Plötzlich ertönte eine ungeduldige Stimme aus dem Anrufbeantworter. Die Stimme seiner Mutter. Guter Gott, dachte er gereizt. Konnte ein Mann seiner Mutter denn wirklich niemals entfliehen?
„Cade, mein Lieber, ich hoffe, du hast den Botschafts-Ball nicht vergessen. Du weißt doch, dass du Pamela Lovett begleiten sollst. Ich habe heute mit ihrer Tante zu Mittag gegessen, und die sagte mir, dass Pamela nach ihrem kleinen Ausflug nach Monaco einfach großartig aussieht.“
„Ja, ja, ja“, murrte er, dann starrte er düster auf seinen Computer. Er unterhielt zu elektronischen Geräten keine besonders harmonische Beziehung. Während seine Mutter weiterplapperte, setzte er sich widerwillig an den Schreibtisch. „Hast du den Smoking in die Reinigung gebracht? Und nimm dir die Zeit, zum Friseur zu gehen. Letztes Mal hast du so ungepflegt ausgesehen.“
Und vergiss auch nicht, dich hinter den Ohren zu waschen! Seine Mutter würde niemals akzeptieren, dass er mit dem Lebensstil der Familie nichts anfangen konnte. Dass er einfach keine Lust hatte, im Klub zu Mittag zu essen oder gelangweilte ehemalige Debütantinnen in Washington herumzuführen, und dass sich daran auch niemals etwas ändern würde.
Er wollte Abenteuer, und wenn er auch nicht gerade in die Fußstapfen eines Sam Spade trat, indem er Berichte über erfundene Schleudertraumata verfasste, so arbeitete
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