Schenk mir diese Nacht
ungerührt. "Da Sie mich nicht helfen lassen wollten, hatte ich gehofft, wenigstens das Tablett für Sie tragen zu dürfen."
Mit anderen Worten, er hatte nicht die Absicht zu
verschwinden! Gaye widerte das nicht im Mindesten. Hinter seinem Charme verbarg sich stahlharte Entschlossenheit - auch wenn er sich von seiner Stiefnichte um den kleinen Finger wickeln ließ. Charlie war vermutlich das einzige weibliche Wesen, dem dies gelang...
"Und warum seufzen Sie jetzt?" Jonathans Stimme riss sie aus ihren Gedanken.
Seine Hartnäckigkeit war wirklich lästig! Warum
ausgerechnet ich? fragte Gaye sich im Stillen. War ihr Leben nicht schon kompliziert genug, auch ohne das Interesse dieses Mannes? Sie ging zur Arbeit, erledigte ihren Job nach besten Kräften, verlangte von niemandem etwas und erwartete noch weniger - warum also musste dieser Charmeur mit all seinem Reichtum und unwiderstehlichen Lächeln alles durcheinander bringen?
"Es war ein langer Tag", entschuldigte sie sich kurz angebunden. Und Gott sei Dank war er fast vorbei.
Er nickte. "Andererseits ist es bestimmt sehr befriedigend, neuem Leben auf die Welt zu helfen."
Verwundert schaute sie ihn an. Ja, es war wundervoll, die grenzenlose Freude auf dem Gesicht einer Mutter zu
beobachten, wenn ihr das Baby in die Arme gelegt wurde. Dies war einer der Gründe, weshalb sie sich auf Geburtshilfe spezialisiert hatte - denn es bedeutete Leben und nicht Tod.
Wann hatte sie diesen Aspekt aus den Augen verloren? Wie hatte sie ihn nur aus den Augen verlieren können?
Sie kannte die Antwort auf beide Fragen. Aber erst jetzt wurde ihr klar, dass sie gegen das Wunder einer, Geburt fast immun geworden war und das eigene Leben viel zu wichtig genommen hatte.
Tränen stiegen ihr in die Augen, die Gefühle drohten sie zu überwältigen. Doch vor diesem Mann konnte und durfte sie nicht weinen. Sie hatte noch nie vor anderen geweint. Zwei Jahre lang hatte sie sich eisern in der Gewalt gehabt, und jetzt würde sie auch nicht zusammenbrechen!
"Gaye ..." Jonathan Hunter war sofort bei ihr und umfasste sacht ihre Arme, den Blick besorgt auf ihr blasses Gesicht gerichtet.
Ein Gesicht, das in den vergangenen zwei Jahren schmaler geworden war, mit grünen Augen, die fast zu groß für diese zarten Züge waren, mit hohen Wangenknochen, einer schmalen Nase über sinnlichen Lippen und einem energischen, festen Kinn. Die Fröhlichkeit, die sich einst in den grünen Augen widergespiegelt hatte, war schon zu lange erloschen und unbeschreiblicher Verwundbarkeit gewichen.
Diesen Schutzpanzer wollte Gaye auf keinen Fall ablegen.
Das Letzte, was sie sich wünschte, war die flüchtige Anteilnahme dieses Mannes. Sie wollte - und brauchte - sein Mitleid nicht. Falls sie den Emotionen nachgab, die sie so lange unter Kontrolle gehabt hatte, würde sie sich wahrscheinlich nicht mehr davon erholen. Wenn Jonathan Hunter heute die Klinik verließ, würde er keinen zweiten Gedanken an sie verschwenden, aber für sie würde das brüchige Kartenhaus zusammenstürzen, zu dem ihr Leben in den vergangenen zwei Jahren geworden war. Nur ein kurzer Moment der Schwäche, und sie würde wieder von Vorn anfangen müssen.
"Bitte, Mr. Hunter." Sie wich einen Schritt zurück. Ihre kalte, abweisende Miene hatte sowohl alte Freunde vertrieben als auch neue Bekanntschaften verhindert - und sie würde auch Jonathan Hunter auf Distanz halten. Für einen Neuanfang fehlte ihr einfach die Kraft. "Ich will nicht..."
"Jonathan!" Jordan Hunter tauchte plötzlich mit strahlendem Lächeln an der Tür auf. "Entschuldigen Sie die Störung, Schwester", bat er rasch. "Es ist ein Junge, Jonathan. Abbie und ihm geht es gut", fügte er erleichtert hinzu. Offenbar war er seiner Schwägerin genauso zugetan wie Jonathan. "Jarrett ist gerade mit Charlie bei ihnen."
"Das sind ja wundervolle Neuigkeiten", meinte Gaye betont fröhlich. "Und wenn Sie Ihren Kaffee getrunken haben", sie drückte Jonathan Hunter das Tablett in die Hände, "wird Ihre Schwägerin wieder in ihrem Zimmer sein, und Sie können sie besuchen." Und ich habe Feierabend, fügte sie in Gedanken hinzu.
"Gaye...?"
An der Tür blieb sie stehen und drehte sich zu Jonathan Hunter um. Ihre Nerven waren zum Zerreißen gespannt. Warum konnte dieser Mann nicht zu seinem gewohnten Leben
zurückkehren und sie ihrem eigenen überlassen?
"Ja?"
"Danke für Ihre Hilfe", sagte er leise.
Und dann lächelte er. Es war, als würde die Sonne durch eine dichte Wolkendecke
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