Schicksal des Blutes
war ihm noch nie so jemand begegnet.
Auch war es höchst unheimlich gewesen, als Timothy Hunderte brutal angreifende Wesen samt Brücke in die Luft sprengte und sie alle rettete, ohne einen einzigen Kratzer davonzutragen. Niemand durfte so viel Macht haben.
„Was noch?“, fauchte er mental nach unten.
„Nichts. Mich interessiert nur, was ich dir getan habe.“
„Darüber reden wir, wenn ich tot bin“, knurrte Nyl, der allmählich spürte, wie der Alkoholrausch dem Kater wich.
„Ich lass dich ja schon in Ruhe. Pass gut auf Amy auf.“
„Darauf kannst du Gift nehmen.“
Timothy verschwand zu schnell für das menschliche Auge hinter einer Hochhausfront. Erst jetzt fiel Nyl auf, dass das unnatürlich starke Unwetter der vergangenen Nacht sich verzogen hatte. Der Engel hatte mit seinem Zorn ein ziemliches Durcheinander hinterlassen, weltweit, wie er aus einigen Radios und Köpfen mitbekommen hatte. Aber in einem hatte die verhasste Dämonin, der er irgendwann eigenhändig jede Faser einzeln aus dem Körper und der Seele – falls sie eine besaß – reißen würde, unrecht gehabt. Der Nephilim hatte sich nach seinem mitternächtlichen Wutausbruch beruhigt. Es war nicht noch schlimmer gekommen. Zumindest blitzte die Sonne durch die Wolken und in den Nachrichten wurde von einem neuen Wetterphänomen berichtet, der Verschmelzung eines F5-Tornados mit einer Weißen Böe, die zu den globalen Blackouts geführt hatte. Na klar, logisch! Nyl schüttelte den Kopf, was er sofort bleiben ließ. Die Menschen fanden auf alles eine Antwort, besonders dann, wenn sie keine blasse Ahnung von etwas hatten.
Sein Puls jagte ihm in den dröhnenden Schädel, als er Amys fruchtigen Duft und ihre Aura intensiv wahrnahm. Sein Blick raste an der gegenüberliegenden Hausfront hinunter. Er kniff die Lider zu einem schmalen Schlitz zusammen, um sie zu erkennen. Sie war wunderschön, und wenn er nicht vorsichtig war, würde sie bald nur noch Erinnerung sein.
Amy trat hinter einer Säule hervor, winkte dem Concierge Henry Snow zu und schritt langsam die breite Treppe vor dem neoklassizistischen Gebäudekomplex hinab. Sie ging unsicher, bemüht, es zu verbergen. Nyl schnaufte. Cira hatte recht behalten. Amy sollte sich schonen, Menschenessen essen und schon mal gar nicht ausgehen.
Wie durch einen Nebel, der sich plötzlich an den Rändern lichtete, sah er jählings mehrere Männer aus verschiedenen Richtungen auf Amy zulaufen. Egal, wer, was oder warum. Ohne zu zögern stürzte sich Nyl vom Hausdach. Ein wenig viel Höhe, ein wenig zu schnell der Fall, doch nachdenken konnte er hinterher. Die Kerle umringten Amy bereits. Er vernahm ihren raschen Puls und ihre Stimme, die mit jedem gefallenen Stockwerk lauter klang. Kratzig, rau, mit einem Hauch von unterschwelliger Panik. Nyls Fänge fuhren aus. Er krachte zwischen Autos auf dem Asphalt auf, wollte nachfedern und sich abrollen, aber sein Aufprall brach die Platten des Gehweges, ließ ihn straucheln und sich leicht benommen vom Boden aufrappeln. Keine Sekunde später hatte er den Ring der Männer um Amy gesprengt und baute sich vor ihr auf.
„Ms. Evans, bitte beantworten Sie … Hey!“
„Wir haben Fragen an … Na, also hören Sie mal!“
„Die Presse hat ein Recht auf …“
Ny’lane ignorierte die Reporter, die kaum merklich zurückgewichen waren, um nun ihm ihre Mikrofone unter die Nase zu halten. Das Pack war geschult, sich nicht aus der Ruhe bringen oder von ihren heiß begehrten Informationen abhalten zu lassen. Nyl wandte der aufdringlichen Meute den Rücken zu und sah auf Amy hinab.
„Nyl?“
Amys Stimme klang eher brüchig als überrascht. Sie gehörte ins Bett, aber sofort. Er versteifte sich für einen Moment, dann packte er sie unter einer Achsel und zog sie die Stufen hinauf. Der Pförtner sprang hinter seinem Marmortresen hervor.
„Was tust du?“ Amy setzte sich gegen seinen Griff zur Wehr. Zwar schwach, aber er ließ sie augenblicklich los. Er war zu grob gewesen.
„Du gehörst ins …“, begann er und brach ab. Das konnte er unmöglich über die Lippen bringen, ohne sich dazuzulegen. „Die Reporter …“
„Ja?“
Nyl schnaufte und stemmte die Fäuste in die Hüften. Henry Snow stand glotzend hinter der Glasfront. Er schickte den Hampelmann mit einem mentalen Befehl zurück hinter seinen Tresen.
„Dachte ich es mir doch. Ich kann gut auf mich selbst aufpassen. Ich brauche frische Luft und Bewegung. Und das sind Journalisten, keine
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