Schiwas feuriger Atem
Po.
Als Diego eintrat, legte Lisa den Bandleser weg und sah auf. Er hatte ein eilig zusammengestelltes Aktenstück in der Hand, das er ihr mit einem Grunzer auf den Schreibtisch warf. Dann ließ er sich auf die kleine Couch fallen, rieb sich das Gesicht und stieß einen tiefen Seufzer aus. »Also – das ist das Neueste von Schiwa.«
Lisa nahm den Ordner und schlug ihn auf. »Index der relativen Spektralreflexion gleich 1,4«, las sie ab. »Aha. Also ist unser lieber Schiwa nicht bloß einfach Stein.«
Diego nickte. Er hatte die Augen geschlossen und den Unterarm übers Gesicht gelegt. »Haufenweise Eisen an der Oberfläche. Aber das ist nichts Besonderes. Bis jetzt enthielten die meisten Meteoriten mehr Eisen als andere Metalle.«
»Ein paar Silikate«, murmelte Lisa, »aber der größte Teil des Schwarms kann nicht nur einfach Gestein sein. Hm. Nach dem Reflektionsindex entspricht das der Meteoritenklasse ›Steiniges Eisen‹.«
»Blättere mal ein bißchen weiter«, forderte Diego sie auf. »Glen Veeder vom JPL hat festgestellt, daß Schiwa sogar überwiegend aus Eisen besteht.«
»Ja, ich sehe schon.« Stumm las sie einige Zeilen. »Er sagt: Das bedeutet, daß Schiwa der Kern eines größeren Asteroiden gewesen ist, der – wahrscheinlich im Frühstadium der Bildung des Sonnensystems – aus irgendeinem Grunde in mehrere Teile zerbrochen ist. Ach – dann sind also die Satelliten im Schwarm Stückchen des ursprünglichen Proto-Schiwa?«
Diego grunzte. »Sie buddeln in den Einschlagarealen aus, was sie irgend können, aber das hilft uns nicht viel. Anscheinend sind die weicheren Bestandteile von Schiwa langsam wegerodiert, bis auf diesen harten Eisenstrunk.«
»Was meinst du, war Schiwa ein Planet? Etwas aus dem Asteroidengürtel, Teil eines Planeten, der vielleicht dort draußen zwischen Erde und Mars einmal existierte?«
Diego zuckte die Achseln. »Veeder glaubt das nicht. Wahrscheinlich war er nie ein Planet mit geschmolzenem Kern, also das, was wir unter einem Planeten verstehen. Du weißt ja, es gibt mehrere Ursachen für das Vorhandensein von Eisen in Asteroiden.«
»Hm, ja. Radioaktive Elemente zerfallen letztendlich zu Eisen, denn Eisen ist stabil.«
»Oder es mag im Frühstadium des Sonnensystems irgendein Erhitzungsprozeß stattgefunden haben – in der T-tauri-Phase, wo die Materia aufgeheizt wurde, bis die leichteren Elemente wegkochten und bestimmte Metalle schmolzen, die dann zusammenflossen und die Oberfläche des Asteroiden überzogen. Oder der betreffende Asteroid ist durch radioaktiven Isotopenzerfall genügend erhitzt worden.« Diego nahm die Hand vom Gesicht und sah sie müde an. »Möglichkeiten gibt es haufenweise. Es steht jedenfalls endgültig fest, daß Schiwa nach und nach in die Ebene des irdischen Orbit hineinkippt. Vielleicht hat es irgendwas mit Störungen durch Jupiter und Uranus zu tun – genau weiß man das nicht. Es heißt sogar, das Ganze wäre ein zyklischer Prozeß; alle paar Millionen Jahre schnitten ihre Orbitalebenen die Sonnenebene. Was weiß ich. Alles im feinsten Veederschen Fachchinesisch.«
Lisa blätterte weiter im Dossier, und Diego starrte derweil an die glatte Plastikdecke. Dann schlug sie den Schnellhefter zu und legte ihn sorgfältig so hin, daß er mit der Schreibtischkante abschnitt. »Also fällt uns ein Eisenball auf den Kopf«, flüsterte sie. »In elf Monaten, vom Einschlag in Tunis an gerechnet. Oder noch früher.«
»Mit ungefähr zehn Kilometern pro Sekunde«, ergänzte Diego tonlos.
»Ein Gutes ist aber auch wieder nach einigem Nachdenken dabei«, sagte sie.
»Ach.« Diego hob den Arm von den Augen und sah sie an. »Hast du tatsächlich was Gutes entdeckt?«
Sie nickte mit einem schwachen Lächeln. »Er dreht sich nur einmal in zwei Stunden um sich selbst.«
»Das ist mir entgangen. Wie haben sie denn das herausbekommen?«
»Sie haben die Lichtkurve verfolgt, die Oszillationen im reflektierten Licht. Aber diese langsame Rotation bedeutet, daß wir nicht von der Zentrifugalkraft heruntergeschleudert werden, wenn wir landen und die Sprengkörper direkt setzen müssen.«
»Wir?«
»Na ja – wer eben dazu bestimmt wird. Gibt’s darüber schon was Neues?«
»Nein – aber Carl tut so, als ob er derjenige ist, der die Leute aussucht. Du kennst ja Carl.«
»Sag mal, du Bringer froher Botschaft – hast du schon gegessen?«
»Nein, zu Mittag noch nicht, bloß so ein Automaten-Sandwich. Weltraumstationen und Energiescheiben von zehn
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