Schlaflos in Tofuwuerstchen
Kapitel 1 : Tofuwürstchen
Ich setze mich auf die unterste Stufe. An die Scheibe des Dachfensters über der Treppe presst sich der Regen, als wäre er ein einziges undurchtrennbares Band. Keine Tropfen. Kein romantisches Prasseln. Nur stürmende Nässe.
Mir ist langweilig. Ich versuche mich daran zu erinnern, wie ich meine Tage vor Peters Auszug verbracht habe. Waren wir die ganze Zeit über zusammen? Was habe ich gemacht, wenn er noch im Büro war und ich schon zu Hause? Es will mir nichts einfallen. Mein altes Leben erscheint mir wie ein Traum, von dem ich, je länger er her ist, immer mehr Passagen vergesse.
Ich spiele mit dem Gedanken, mir ein Steak in die Pfanne zu werfen und erinnere mich daran, Vegetarierin zu sein. Wir hatten die Entscheidung, auf fleischlose Ernährung umzusteigen, gemeinsam getroffen. Vor über einem Jahr. Ist dieser Entschluss jetzt noch zeitgemäß? Sitzt Peter womöglich in diesem Augenblick mit seiner neu eingetauschten besseren Hälfte Clara vor einem Teller mit Tofuwürstchen, die sie sich gegenseitig verliebt kichernd in den Mund schieben? Mir wird schlecht. Ich stelle mir ein Würstchen vor, das in seinem Hals stecken bleibt. Besser noch: in ihrem.
Ich streiche mir durchs Haar, um die wirren Gedanken abzuschütteln. Wenn mein Leben bei Peters Anwesenheit nicht von ihm abhängig war, warum sollte es das jetzt sein?
Mein Blick fällt auf meine Pantoffeln, die dabei sind, ihre Gummisohle zu verlieren. War das ein Grund für Peter, nicht mehr verliebt in mich zu sein? Ich streiche mir erneut durchs Haar. Es könnte eine Kur vertragen. Genau wie ich. Ich sehne mich nach Montag. Noch zwei Tage, bis ich wieder hinter dem Empfang sitze. Die Zeit vergeht schneller, wenn man arbeitet. Und vor allem: sie vergeht ohne Gedanken an Peter. Meistens zumindest.
Mir fällt ein, dass Julia mir eine Mail mit den Fotos unseres Musicalbesuchs in Berlin schicken wollte. Ich raffe mich auf und gehe ins ehemalige Arbeitszimmer von Peter, das inzwischen zum Arbeitszimmer ohne Arbeit mutiert ist. Lediglich der Schreibtisch mit dem Laptop erinnert noch daran. Ein Laptop, den er wie ein Denkmal zurückgelassen hat. Ich möchte weinen. Nicht mal das kann ich. Der Kloß hängt seit genau 32 Tagen in meinem Hals und will einfach nicht herauskommen. Ich verlasse dich, Evelyn. Ich liebe eine Andere und es wäre sowohl ihr als auch dir gegenüber unfair, weiterhin zweigleisig zu fahren. Ich möchte wieder ruhig schlafen können. Das waren seine Worte. Ich möchte wieder ruhig schlafen können. Ob ihm die Nächte mit Clara mehr Schlaf bringen?
Ich schaue dem Laptop beim Hochfahren zu und bemühe mich um Vorfreude auf Julias Mail. Ich mag Julia. Sie tut mir den Gefallen, Peter und seine Neue genauso sehr zu hassen wie ich. Doch anstelle einer Mail von meiner besten Freundin erwarten mich nur Kosmetik-Newsletter, von denen ich nie weiß, wie sie ihren Weg zu mir gefunden haben.
Unfähig, mich einer sinnvolleren Aufgabe hinzugeben, beginne ich, meine routinierten Klicks durchs Netz zu starten. Neue Empfehlungen meines Lieblings-Online-Buchhandels? Updates bei den Tourdaten der Band, für die ich Tickets zu Julias Geburtstag besorgen will? Ich spüre erneut den Kloß im Hals, als ich wie automatisch das Portal meines Reiseanbieters öffne. Vierzehn Tage Ägypten. Nur Peter und ich. Drei Monate ist das her. Ich verdränge die Frage, ob er Clara schon damals gekannt hat. Es ist nicht wichtig. Nicht mehr.
Verlassenwerden ist scheiße. Nur was nützt mir diese Erkenntnis?
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Eve78: und ich hab gedacht, niemand würde dieses sorgsam durchdachte namenspuzzle entschlüsseln.
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