Schlichte Geschichten aus den indischen Bergen
Eine Übertragung kann das Klagende nicht wiedergeben. Es lautet etwa so:
Ich stehe einsam auf dem Dach, gen Nord
Den Blick gewandt, wo nächtges Feuer loht, –
Die Flammenspuren deines Wegs gen Nord.
Wenn du nicht kommst, Geliebter, kommt der Tod.
Zu meinen Füßen liegt die stille Stadt.
Die Tiere rasten auf des Schlafs Gebot.
Du, weit Entführter, bist auch du so matt?
Wenn du nicht kommst, Geliebter, kommt der Tod.
Das Alter hat des Vaters Weib verroht.
Auf mir liegt seines Hauses ganze Not.
Mein Trank sind Tränen, Kummer ist mein Brot.
Wenn du nicht kommst, Geliebter, kommt der Tod.
Als das Lied verklungen war, trat Trejago naher an das Gitter und flüsterte: »Ich bin da!«
Bisesa war eine Augenweide. – –
An diese Nacht schloß sich manch Seltsames an, und ein Doppelleben begann, so phantastisch, daß Trejago sich heute oftmals fragt, ob nicht alles nur ein Traum gewesen ist. Bisesa oder ihre alte Dienerin, die ihm den Brief zugeworfen, hatte das schwere Gitter aus dem Mauerwerk gelöst, so daß es nach innen gleiten konnte und gerade so viel Raum bot, um einen gewandten Mann durch die rohe, viereckige Öffnung hindurchschlüpfen zu lassen.
Tagsüber durchhastete Trejago seine eintönige Berufsarbeit, oder zog sich besuchsmäßig an, um den Damen desOrtes aufzuwarten. Er mußte oft daran denken, ob sie ihn wohl noch kennen würden, wenn sie von der armen kleinen Bisesa wüßten. Nachts, wenn die Stadt schlief, machte er in dem übelriechenden Mantel seinen heimlichen Gang. An Sitha Megjis Ställen vorbei, bog er rasch in Amir Naths Gasse ein und schlich vorüber an dem ruhenden Vieh und den starren Mauern zu Bisesa. Dann konnte er deutlich die tiefen, regelmäßigen Atemzüge der alten Weiber hören, die vor der Tür des kleinen, kahlen Zimmers schliefen, das Durga Charan seiner Schwestertochter überlassen hatte. Wer oder was Durga Charan war, danach fragte Trejago nie. Und wie es kam, daß er nicht entdeckt und niedergestochen wurde, überlegte er sich erst, als sein Wahn zu Ende war, und Bisesa, – – doch ich will nicht vorgreifen.
Bisesa war Trejagos endlose Wonne. Sie war unwissend wie ein Vogel, und ihre verkehrten Erzählungen von dem Leben der Außenwelt, das bis in ihre Kammer drang, belustigten Trejago fast ebenso wie ihre Versuche, seinen Namen – Christopher – zu stammeln. Schon die erste Silbe war ihr fast zu schwer. Sie machte lächerliche, zarte Bewegungen mit ihren Rosenblütenhänden, als wenn sie den Namen wegwerfen wollte, und kniete dann vor Trejago nieder, um ihn nicht anders als eins von unseren Mädchen zu fragen, ob er sie auch wirklich liebe. Trejago schwor, daß er sie über alles in der Welt liebe. Und das war die Wahrheit!
Einen Monat dauerte die Torheit, dann zwang ihn sein anderes Leben, einer Dame seiner Bekanntschaft besondere Aufmerksamkeit zu widmen. Tatsache ist, daß so etwas nicht nur von unseresgleichen beobachtet und besprochen wird, sondern ganz genau so von ein paar Hundert Einheimischen. Trejago mußte mit der Dame Spazierengehen, bei der Musik mit ihr plaudern und ein-, zweimal mit ihr ausfahren. Nichteinen Augenblick kam ihm der Gedanke, daß er damit sein ihm weit lieberes fremdes Leben irgendwie stören könnte. Aber die Neuigkeit flog, geheimnisvoll wie immer, von Mund zu Mund, bis sie der alten Dienerin zu Ohren kam, die sie Bisesa weitergab. Das Kind war so unglücklich, daß es seine Arbeiten vernachlässigte und dafür von Durga Charans Weib geschlagen wurde.
Eine Woche später warf Bisesa Trejago seinen Flirt vor. Sie kannte keine Abstufungen der Liebe und sprach ehrlich mit ihm. Trejago lachte sie aus, und Bisesa stampfte mit ihren kleinen Füßen, Füßen, so klein und zart wie Maßliebchen. Beide hatten sie Platz in einer Männerhand.
Es ist viel geschrieben worden über »orientalische Leidenschaft und Erregbarkeit«; vieles ist übertrieben und von anderen entlehnt, aber ein Körnchen Wahrheit liegt doch darin. Und wenn ein Engländer die Körnchen findet, dann überraschen sie ihn nicht minder, als Leidenschaften in seinem eigenen Leben. Bisesa tobte und wütete und drohte, sich das Leben nehmen zu wollen, wenn Trejago nicht augenblicks die fremde »Memsahib« fallen ließe. Trejago versuchte ihr zu erklären und zu zeigen, daß man solche Dinge im Westen anders verstünde als hier. Bisesa richtete sich starr auf und sagte schlicht:
»Ich kann sie nicht anders verstehen. Ich weiß nur, daß es nicht gut für mich ist, daß du mir
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