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Schlichte Geschichten aus den indischen Bergen

Schlichte Geschichten aus den indischen Bergen

Titel: Schlichte Geschichten aus den indischen Bergen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rudyard Kipling
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lieber geworden bist als mein eigenes Leben, Sahib. Du bist ein Engländer. Ich bin ein schwarzes Mädchen« – sie war lichter als Barrengold – »und die Witwe eines Hindu.«
    Dann schluchzte sie auf und sagte: »Aber bei meiner Mutter Seele, ich liebe dich. Und was mir auch widerfahren mag, dir soll kein Leid geschehen.«
    Trejago versuchte das Kind zu überzeugen und zu beschwichtigen, aber Bisesa schien maßlos erregt. Sie wolltesich nicht zufriedengeben, bis nicht alle Verbindung zwischen ihnen abgebrochen sei. Er sollte auf der Stelle gehen. Und er ging. Als er sich aus dem Fenster schwang, küßte sie ihn zweimal auf die Stirn. Und er ging gedankenvoll heim.
    Eine Woche, drei Wochen gingen hin, ohne ein Zeichen von Bisesa. Trejago fand, das Zerwürfnis habe nun lange genug gedauert und ging nun schon zum fünftenmal in den drei Wochen in Amir Naths Gasse. Er hoffte, daß sein Klopfen am Gitterfenster endlich wieder Antwort finden würde. Er wurde nicht enttäuscht.
    Ein schwacher Strahl der Mondsichel fiel auf das Gitterfenster in Amir Naths Gasse. Es wurde bei seinem Klopfen fortgezogen. Aus dem tiefen Dunkel streckte Bisesa ihre Arme ins Mondlicht. Beide Hände waren ihr an den Gelenken abgeschnitten, und die Stümpfe waren schon fast verheilt.
    Als Bisesa schluchzend den Kopf zwischen die Arme legte, heulte jemand im Zimmer auf wie ein wildes Tier, und etwas Scharfes – Messer, Schwert oder Speer – flog nach Trejagos Mantel. Das Geschoß verfehlte zwar seinen Oberkörper, aber es verletzte ihm einen Lendenmuskel. Von diesem Tage bis an sein Lebensende hinkte Trejago ein ganz klein wenig. Das Gitter wurde wieder geschlossen. Kein Lebenszeichen drang mehr aus dem Haus. Nur ein Streifen Mondlicht auf der hohen Mauer war zu sehen, sonst lag Amir Naths Gasse in tiefstem Dunkel.
    Trejago kann sich nur noch erinnern, daß er wie ein Wahnsinniger zwischen den erbarmungslosen Mauern geschrien und getobt hat, und daß er sich beim Morgengrauen plötzlich nahe am Flusse befand. Er warf seinen Umhang fort und ging barhäuptig nach Hause.
    Bis auf den heutigen Tag hat Trejago nicht den Lauf der Tragödie erfahren. Er weiß nicht, ob Bisesa in einem Anfallgrundloser Verzweiflung alles gestanden hat, ob ihr Verhältnis entdeckt und sie gefoltert wurde, bis sie gestand, ob Durga Charan seinen Namen kannte, und was aus Bisesa wurde. Jedenfalls war etwas Entsetzliches geschehen; und der Gedanke, was es gewesen sein könnte, kommt Trejago manchmal des Nachts und leistet ihm Gesellschaft bis zum Morgen. Und es ist charakteristisch, daß Trejago nicht einmal erfahren hat, wo die Vorderseite von Durga Charans Haus liegt. Sie kann nach einem gemeinsamen Hof mit anderen Häusern zu liegen, vielleicht auch hinter einem der vielen Tore zu Jitha Megjis Ställen. Trejago weiß es nicht. Er kann Bisesa, die arme kleine Bisesa, nicht wiederfinden. Er hat sie in der Stadt verloren, wo jedes Mannes Haus bewacht wird und so unergründlich ist wie ein Grab. Und das Gitterfenster in Amir Naths Gasse ist zugemauert worden.
    Trejago macht regelmäßig seine Besuche und wird zu den vernünftigen Leuten gezählt.
    An ihm ist nichts Auffallendes außer einer kleinen Steifheit, die ihm – von einer Überanstrengung beim Reiten – im rechten Bein zurückgeblieben ist. –

Irrungen
    Ein Mann, der sich ganz offen sinnlos betrinkt, öfter betrinkt, als er eigentlich dürfte, ist zu heilen, aber hoffnungslos ist der, der sich in der Stille einsamem Trunke ergibt, den man niemals trinken sieht.
    Das ist eine Regel, und so muß es auch eine Ausnahme geben, die sie bestätigt; Der Fall Moriarty ist die Ausnahme.
    Er war Zivilingenieur, und die Regierung hatte die große Liebenswürdigkeit, ihn in eine entlegene Gegend zu schicken, wo er ganz allein war mit den Einheimischen und einem Haufen Arbeit. In den vier Jahren seiner völligen Einsamkeit arbeitete er tüchtig, aber er verfiel dem Laster des stillen, heimlichen Trunkes. Er kam älter, müder und verbrauchter zurück, als ihn das Lebendig-Begrabensein in der Einöde hätte machen dürfen. Ein bekanntes Wort heißt, daß ein Mann, der über ein Jahr allein im Dschungel haust, für sein ganzes Leben die geistige Gesundheit verliert. Man schrieb Moriartys Wunderlichkeit und Schwermut dem einsamen Leben zu und sagte, er wäre wieder einmal ein Beweis dafür, wie die Regierung die Zukunft ihrer besten Leute vernichte. Er hatte den Grund zu seiner Hochschätzung durch seine Leistungen beim

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