Schloß Gripsholm
größten Vorzüge dieses Mannes lagen, neben seiner Zuverlässigkeit, im Negativen: was er alles nicht sagte, was er nicht tat, nicht anstellte... Da gab es keine fein gebildeten Verdauungsgespräche, in denen die Herren dem »Geist ihrer Zeit« einen scheußlichen Tribut darbringen, ohne übrigens ihr Leben auch nur um einen Deut zu ändern. Da wurde nicht literarische Bildung verzapft, und es gab keine Wiener Aphorismen über Tod, Liebe, Leben und Musik wie bei den Journalisten aus Österreich und den ihnen Anverwandten... es wird einem himmelangst, wenn man das hört, und beim ersten Male glaubt man das druckfertige Gerede auch, und es ist alles, alles nicht wahr. Was Karlchen anging, so war das ein Stiller. Er rauchte die Welt an, wunderte sich über gar nichts mehr, war ein braver Arbeiter im Aktengarten des Herrn und zog zu Hause zwei Kinder auf, ohne dabei ein Trockenmieter seiner selbst zu werden. Hier und da fiel er in Liebe und Sünde, und wenn man ihn fragte, was er nun wieder angestellt hätte, dann fletschte er die Zähne und sagte: »Sie hat mich über die Schwelle der Jugend geführt!« und dann ging es wieder eine Weile. Jetzt saß er da und rauchte und dachte nach.
»Wir müssen an Jakopp schreiben«, sagte er. Jakopp war der andre – wir waren drei. Mit der Prinzessin vier. »Was wollen wir ihm denn schreiben?« fragte ich. »Hast du ihn gesehn? Du bist doch über Hamburg gefahren?« Ja, Karlchen war über Hamburg gefahren, und er hatte ihn gesehn. Jakopp war der Verschrullteste von uns, am Hamburger Wasserwerk sich betätigend, ein Ordentlicher, der deshalb auch die Georginen über alles liebte – »Georgine, die ordentliche Blume«, sagte er – ein Kerl von bunter Verspieltheit und mit vierhundertundvierundvierzig fixen Ideen im Kopf. Wir paßten gut zueinander.
»Wo ist denn auf einmal die Prinzessin?« fragte Karlchen. Die Prinzessin war ins Städtchen gegangen, »Knöpfchen kaufen«. Wir kauften nie zusammen Knöpfchen, womit jede Art Einkauf gemeint war – wenn wir es aber doch taten, dann zankten wir uns dabei. Nun war sie fort. Wir schwiegen eine Weile.
»Na, und sonst, Karlchen?« – »Sonst hat sich Jakopp Pastillen gekauft, weil er doch so viel raucht. Und wenn er raucht, dann hustet er doch so. Du kennst das ja – es ist ein ziemlich scheußlicher Anblick. Und jetzt hat er sich gegen das Rauchen ein Mittel besorgt: Fumasolan heißen die Dinger. Hm –«. – »Na und? Helfen sie?« – »Nein, natürlich nicht. Aber er sagt: seit er das nimmt, verspürt er eine merkwürdige Steigerung seiner Manneskräfte. Das stört ihn sehr. Ob sie ihm die falschen Pastillen eingepackt haben?« – So ging alles in Jakopps Leben zu, und wir hatten viel Freude daran.
»Gib mal eine Karte. Was wollen wir ihm denn...?« Endlich hatte ich es heraus. Wir wollten ihm eine Telegrammkarte schicken, weil das tägliche Telegramm, das ihn gestört und herrlich aufgebracht hätte, zu teuer gewesen wäre. Wir telegraphierten also fortab auf Karten entsetzlich eilige Sachen – heute diese:
hergeflogenes karlchen soeben fast zur gänze
eingetroffen drahtet sofort, ob sofort drahten
wollt stop großmutti leider aus Schaukel gefallen
großvati
Diese schwere Arbeit hatten wir hinter uns... nun ruhten wir aus und sagten erst mal gar nichts. Da kam die Prinzessin.
Sie hatte vielerlei Knöpfchen eingekauft; es ist rätselhaft, was für eine Fülle von Waren Frauen noch in den kleinsten Ortschaften entdecken. Und Geld hatte sie auch nicht mehr, und ich zog mit gefurchter Stirn die Brieftasche und tat mich sehr dick. Dann legten wir uns ins Gras.
»Geht euch das eigentlich auch so«, sagte Karlchen, der hier schon völlig zu Hause war, »daß ihr euch so schwer erholt? Erholung ist eine Arbeit, finde ich. Man macht und tut, auch wenn man gar nichts tut – und man merkt es erst hinterher, wie...?« – »Hm«, machten wir; wir waren zu faul, zu antworten. Es knisterte. »Steck die Zeitungen weg!« sagte ich. »Habt ihr gelesen...?« sagte er. Und da war es.
Da war die Zeit.
Wir hatten geglaubt, der Zeit entrinnen zu können. Man kann das nicht, sie kommt nach. Ich sah die Prinzessin an und zeigte auf die Zeitung, und sie nickte: Wir hatten heute nacht davon gesprochen, davon und von der Zeit und von dieser Zeit... Man denkt oft, die Liebe sei stärker als die Zeit. Aber immer ist die Zeit stärker als die Liebe. »Gelesen... gelesen...«, sagte ich. »Karlchen, was liest du jetzt eigentlich für eine
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