Schmetterlingsgeschichten - Chronik III - One (German Edition)
so, als würde er einem
Union-Trooper die Kehle durchschneiden. Als Jens in die Gesichter der
Houbstarks zum ersten Mal schaute, konnte er einen toten Schimmer der
Verzweiflung erblicken. Sie hatten fast alle ihre Freunde sterben sehen. Auch
der Kleine hatte zuschauen müssen. Ein wahrhaft perfider Unions-Offizier hatte
die Einwohner dieses Viertels zusammentreiben lassen und sie mit Genuss
hintereinander hingerichtet.
Alle
hatten dabei zuschauen müssen. Es sollte abschrecken.
Eigentlich
wäre sogar diese Familie mit dran gewesen. Sie hatten schon mit gefesselten
Beinen und Händen auf dem Boden knien müssen, ihr Henker hatte das Gewehr schon
auf ihre Köpfe gerichtet, als der Befehl von Lord Vanduld gekommen war, dass
die gewünschte Totenzahl des Vorsitzenden der Union, Claudius Brutus Drachus,
erreicht worden sei, und die Tötungen einzustellen wären.
Der
Union-Trooper, der das Gewehr auf sie gerichtet hatte, ließ von seinem Vorhaben
ab. Allerdings aus einem einzigen Grund - das hatte die Familie noch in seinem
Gesicht lesen können: Ihm war unter anderem langweilig geworden. Er hatte
bestimmt schon 50 Lebewesen an dem Tag erschossen.
Als
Jens nun in diese Augen hatte schauen müssen, wusste er, sie würden ihn nicht
verraten. Zum Glück. Es hätte ja auch anders kommen können.
Jens
war aus dem Keller hervorgekommen und ging geradewegs auf sie zu. Seine Augen
leuchteten blau in der Dunkelheit des Hauses.
Nur
ein blaues Paar Augen schien durch die Luft zu fliegen.
Durch
die brennende Kerze fiel etwas Licht auf die silberne Rose auf seiner Brust.
Als
die Familie ihn erblickte, fragte Jens sie knapp und leise: »Wo ist der
Kommandoposten?« Erschrocken hielten die Houbstarks die Luft an.
»Durch
die Haustüre und dann rechts. Er ist nicht zu übersehen. Nicht weit. Nur gut
200 Meter«, sagte der Houbstark dann schließlich.
»Danke«,
war das Einzige, was Jens einfiel, das er sagen konnte.
»Ihr
seid die Ritter? Nicht wahr?«, fragte die Houbstark-Frau mit ehrfürchtiger
Stimme und ging auf die Knie. Ihr Blick haftete an Jens.
Sichtlich
unangenehm nickte Jens und ging zur Tür.
Langsam
öffnete er den Türspalt und schaute auf die Straße. Wansul, Lukas und Judith
flogen leise an ihm vorbei.
Die
drei Houbstarks verfolgten mit geöffnetem Mund das Szenario.
Dann
winkten die Schmetterlinge zur Kellertreppe. Die dreizehn Elite-Schmetterlinge
kamen hervorgeschossen und verteilten sich wie Geister auf der Straße.
Nachdem
diese wiederum den Na’Ean-Kriegern signalisiert hatten, dass die Straße frei
war, stürmte die kleine Truppe Kämpfer aus dem Keller auf die Straße.
In
ihrer Mitte rannte Sebastian an der Familie vorbei.
Ein
magischer Fürst in der Dunkelheit.
In
seiner Hand ein Schwert, das mit seiner silber-weißen Rose in der Nacht
schimmerte.
Die
Familie nahm er nur mit dem Augenwinkel wahr, und ehe sie sich versehen hatten,
schlich er auch schon mit den anderen die Straße hinauf zum Kommandoposten.
Für
die Houbstark-Familie hingegen hatte der Mythos, der unsichtbare Held, dadurch
ein Gesicht bekommen:
Sebastian
Feuerstiel, der Junge mit dem silberweißen Rosenschwert, geisterte begleitet
von dreizehn Na’Ean-Kriegern, der »Blauen Geist« und seine Schmetterlinge, nachts
durch die Straßen von Sadasch und befreite Sadasch von der Union.
Für
Sebastian war danach alles recht schnell gegangen. Als sie das Eckhaus erblickt
hatten, es war eindeutig nicht zu verkennen, dass es sich hierbei um den
Kommandoposten handelte, war Sebastian auf die Knie gegangen. Sein Schwert
hatte er zur Seite gelegt. Mit der einen Hand berührte er den Boden, und mit
der anderen Hand zeigte er auf das Haus.
»26
Personen, erste Etage. 32 Personen, zweite Etage. 19, Untergeschoss«, flüsterte
er mit geschlossenen Augen wie ein Orakel hinüber. Und dann ging alles
gleichzeitig.
Jens
sprang auf und hielt die Zeit an. Ein blauer Schein umgab ihn.
Die
Na’Ean-Krieger stürmten nach vorne, beseitigten die schwer bewaffneten Wachen
vor dem Haus aus dem Laufen heraus und stürmten hinein.
Sebastian
erzeugte mit seiner rechten Hand eine weiße Lichtkugel, die den Kriegern in der
Nacht nach vorne den Weg erleuchtete und ihre Gegner mit ihrem Schein blendete.
Mit seiner linken Hand hatte er bereits das Schwert wieder aufgenommen und war
hinter seinen Rittern hergestürmt.
Was
dann alles so in dem Haus passierte, konnte er nicht genau sagen.
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