Schmuddelkinder - Lenz sechster Fall
wissen, dass jetzt nicht der Moment für Scherze war. »Tut mir leid, Thilo.
Warum hast du am Telefon nichts davon gesagt? Dann hätte ich das hier allein
übernommen.«
Der Oberkommissar winkte ab. »Lass stecken. Jetzt bin ich
hier.«
»Weißt du schon irgendwas über die Sache?«
»Nur, dass ein alter Mann ziemlich übel zugerichtet wurde.
Die Kollegin, die mich angerufen hat, meinte, so was würde sie nur aus dem
Fernsehen kennen.«
»Klingt apart. Dann lass uns reingehen. Ist die
Spurensicherung schon da?«
»Nein. Ich habe gerade mit Heini telefoniert. Er sagt, dass
er in einer halben Stunde hier sein wird.«
Trotz der nächtlichen Stunde hatten sich gegenüber dem Haus
auf der anderen Straßenseite ein paar Gaffer eingefunden. Lenz bedachte sie mit
einem Blick, der keiner Erklärung bedurfte. Zwei Uniformierte, die in der
Eingangstür standen, winkten die Kripobeamten vorbei.
»Kollegen, könnt ihr dafür sorgen, dass die Leute da drüben
verschwinden, nachdem sie befragt wurden, ob sie was gesehen haben?«, fragte
der Hauptkommissar.
Die beiden nickten.
»Ich kümmere mich gleich drum«, erwiderte der Jüngere der
zwei und machte sich auf den Weg. Lenz wandte sich dem anderen zu.
»Können Sie uns was zu der Geschichte hier sagen?«
»Nicht viel. Wir wurden von einer Nachbarin gerufen, die sich
über das Licht im ganzen Haus gewundert hat. Sie war sich sicher, dass der
Besitzer zu Hause ist, aber er hat auf ihr Klingeln nicht reagiert.«
»Woher wusste sie, dass er zu Hause ist?«, wollte Hain
wissen. »Es hätte doch auch sein können, dass er einfach vergessen hatte, das
Licht auszuschalten.«
»Das müssen Sie die Frau selber fragen. Sie sitzt in der
Küche ihres Hauses, gleich schräg gegenüber.«
»Aber sie hat ihn gefunden?«
»Ja. Es gab einen Schlüssel, für Notfälle, der lag in einer
Wandnische draußen im Hof. Nachdem sie öfter geklingelt hatte, bekam sie es mit
der Angst zu tun, hat den Schlüssel geholt und ist ins Haus. Dann hat sie den
Toten gefunden.«
»Gut, den Rest besprechen wir mit ihr selbst. Danke.«
»Gern«, erwiderte der uniformierte Polizist und deutete mit
der rechten Hand einen Griff zu seiner Mütze an.
Die beiden Kripobeamten streiften Einweghandschuhe über,
schlüpften in blaue, glänzende Füßlinge, schoben die Haustür nach innen auf und
betraten das Haus.
»Ach du Scheiße«, murmelte Hain beim Blick in den Flur.
Überall waren kleinere und größere Blutflecke. Auf dem Boden, an den Wänden,
sogar an der Decke waren Spritzer zu sehen.
»Wenn Sie sich ganz links halten, verwischen Sie keine
Spuren, meine Herren«, hörten die beiden eine vertraute Stimme aus einem Zimmer
auf der rechten Seite. »Dort ist alles trocken.«
Lenz und Hain hielten sich an den Rat von Dr. Peter Franz,
dem Rechtsmediziner, und traten ein paar Augenblicke später neben den Arzt, der
über einem übel zugerichteten männlichen Leichnam kniete und gerade mit einer
winzig kleinen Digitalkamera eine Aufnahme machte.
»Das bekommt man nicht jeden Tag zu sehen, deshalb will ich
es für die Nachwelt erhalten«, erklärte der Mediziner.
»Stimmt, das sieht wirklich gruselig aus«, bestätigte Lenz
mit einem Blick auf den Toten, dessen Körper übersät war von Hämatomen,
Platzwunden und Einstichstellen. Der rechte Unterarm stand in merkwürdigem
Winkel zum Rest des Armes, offenbar war er gebrochen. Auch die beiden nackten
Füße wiesen deutliche Spuren von Deformation auf dem Spann auf.
»Wie lange liegt er denn schon hier?«
»Das kann ich Ihnen nicht mit Gewissheit sagen«, konterte
Franz mit der ihm eigenen Spur Besserwisserattitüde in der Stimme, »tot
allerdings ist er seit mindestens vier, höchstens fünf Stunden.«
»Todesursache?«, wollte Hain wissen.
Dr. Franz drehte sich kurz in seine Richtung und bedachte ihn
mit einem ultrabösen Blick, schenkte sich jedoch eine konkrete Antwort auf die
Frage.
»Guten Morgen übrigens, meine Herren. So viel Zeit sollte
doch sein.«
»Morgen«, murmelten die beiden.
»Wenn Ihr junger Kollege einmal ein großer, anerkannter
Kripomann werden will«, wandte der Arzt sich an Lenz, »sollte er versuchen, den
Harn ein wenig länger zu halten, Herr Kommissar. Oder, vulgo, sich ein wenig in
Demut gegenüber der ärztlichen Kunst zu üben.«
Lenz hatte nicht übel Lust, Franz die Meinung zu sagen, doch
er wusste, dass er damit nichts erreichen würde. Dieser Mann war nicht mehr zu
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