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Schmusemord

Schmusemord

Titel: Schmusemord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisbert Haefs
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leidend) dreinschaute und auf die gefalteten Hände blickte. Daniela stieß ihn unter dem Tisch mit dem Fuß an.
    »Also.« Yü schob die Unterlippe vor, machte aus den Zetteln einen Kartenstoß, mischte vier- bis fünfmal gründlich, nahm selbst ab und steckte dann alles in die Brusttasche. »Gestützt auf das unergründliche Gedächtnis Asiens will ich referieren.«
    Matzbach murmelte etwas von unzugänglicher Unergründlichkeit, lauschte dann aber ohne weiteres Geschwätz oder Gebärden des Gespanntseins.
    Der von einem glückhaft verblichenen Österreicher observierte Kandidat namens Elias Jüssen, so führte Yü aus, sei Jahrgang ‘24, habe die vorgeschriebenen Schuljahre in Köln verbracht, mit 18 ein Kriegsabitur abgelegt und sich zu den Fahnen begeben, den seinerzeit ruhmreichen, des weiland Vaterlands, des ...
    Hermine unterbrach. »Können wir das nicht vielleicht ein bißchen weniger beflaggt und ruhmreich haben? Du mit deinem deutschen Paß ...«
    »Hochmütige Drachenkuh wird zu bereuen haben«, sagte Yü.
    »Drachenkuh!« Hermine klatschte. »So was Nettes hast
du
noch nie zu mir gesagt, Dicker.«
    »Ich werde das ändern. Weiter, Chinamännlein!«
    Jüssen habe kurze Zeit im besetzten Dänemark Dienst geschoben, danach den Ernst der Dinge an der Ostfront genießen dürfen. Dann habe ein nicht namentlich zu ermittelnder Offizier eine Sondereinheit zusammengestellt, ein paar Dutzend wendige junge Männer mit guten bis perfekten Französischkenntnissen.
    »Aus allen möglichen Einheiten, übrigens; gewissermaßen handverlesen. Der kleine Trupp sollte in Zusammenarbeit mit SD, Gestapo und anderen versuchen, die Résistance in Frankreich zu unterwandern, infiltrieren, aushorchen ...«
    »Es gibt da etliche Verben, die alle nicht stimmen, sich aber gut machen«, sagte Matzbach. »Ich neige den Kopf in Ehrfurcht ob deiner Vokabelbüffelei.«
    »Danke; Sie beschämen mich.« Yü nahm einen Schluck von seinem erkalteten Kaffee, schnaubte leise und sprach weiter.
    »Die Monde bis zum Untergang des tausendjährigen Jahrzwölfts sind schlecht dokumentiert. Was immer Jüssen in Frankreich getan haben mag ... Er hat es jedenfalls geschafft, im Sommer vierundvierzig in Gefangenschaft zu geraten, und offenbar genoß er eine Art Vorzugsbehandlung, was vermutlich mit seinen Résistance-Beziehungen zusammenhängt. Er wurde entlassen, kam ins zerstörte Köln zurück, und es begann der aufhaltsame Aufstieg eines guten Menschen.«
    »Wie meinst du das, du guter Mensch aus China wiewohl nicht Sezuan? Guter Mensch? Philanthrop? Gutmensch?«
    »O Matzbach, wenn ich ›Gutmensch‹ meinte, hätte ich ›Drecksack‹ gesagt. Oder ›fiese Möpp‹, unter uns Rheinländern.«
    »Ihr mit euren Modewörtern.« Hermine goß Kaffee nach, bis auch die dritte Thermoskanne leer war. »Was genau versteht ihr unter ›Gutmensch‹?«
    »Was man so darunter versteht, Herrin der Labung.« Yü sah zu den restlichen Stücken Pflaumentorte hinüber und seufzte, als ob er mangelhaftes Fassungsvermögen zu beklagen hätte. »Der gemeine Gutmensch deutscher Fertigung,
homo politicorrectus
, verbindet abstoßende Langeweile mit ätzender Lästigkeit; er vertritt immer alle Positionen, die zur Zeit von der Abteilung Weltverbesserei belegt werden, und zwar vertritt er sie missionarisch. Ein Phänomen, nebenbei – missionarisches Zeitgeistsurfen. Wenn man es so nennen mag. Er ist zum Beispiel gewalttätiger Pazifist, die Umgebung durch Geschwätz verschmutzender Umweltschützer, doktrinär antiautoritär, so was. Richtet pausenlos zur ernstgemeinten Beglückung der Welt neue Inquisitionen ein. Mit einem Wort: widerlich.«
    »Könnten wir bitte bei Jüssen bleiben?« Matzbach schaute ernst drein.
    »Du, als Meister der ziellosen Abschweifung, wirst schon wissen, was du haben willst«, sagte Yü. »Also bitte. Jüssen muß ein furchtbar guter Mensch sein. Niemand, mit dem ich gesprochen habe, sagt auch nur das Geringste gegen ihn. Dany hat die gleiche Erfahrung gemacht.«
    Sie nickte. »Es ist kaum zu glauben. Geschäftliche Konkurrenten loben ihn, selbst Leute von der anderen Partei.«
    »Welche?« sagte Matzbach.
    »Jüssen ist ein CDU-Mann und wird von SPD-Leuten gelobt. Nicht nur das, sogar die paar Grünen und FDPler, die wir gesprochen haben, scheinen ihn zu lieben.«
    »Erstaunlich.« Baltasar wackelte mit dem Kopf. »Das Tollste wäre allerdings, wenn ihn auch die eigenen Leute ...«
    »Das ist es ja.« Yü breitete die Arme aus. »Ich bitte

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