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Schneckenmühle

Schneckenmühle

Titel: Schneckenmühle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Schmidt
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drückt, die anderen drei. Mir gefällt das Geräusch vom klickenden Relais im Schaltkasten, der im Flur hängt. Wenn ich alleinin der Wohnung bin, mache ich immer alle Lichter an, auch das in der Kammer. Das hilft auch, wenn man sich so unnormal fühlt. Als ich einmal ein Buch über alte Zukunftsutopien durchgeblättert habe, mit einer Abbildung von behaarten Urmenschen, die in Panik vor Raketen wegliefen. Sie verstanden gar nicht, was das am Himmel war, das hatte mich plötzlich so bedrückt.
    Mein Vater arbeitete schweigend weiter. Oma Rakete war auf dem Weg zur Kirche, wo mein Onkel, der sehr an Gott glaubt, immer die Treppe fegt, gestürzt, und hatte seitdem im Krankenhaus gelegen. Dort war sie nicht gut behandelt worden, einmal hatte sie nackt am offenen Fenster gesessen, weil sie vergessen worden war. Zu meinem letzten Geburtstag hatte sie mir noch eine Tüte Pulver für Paradies-Creme geschickt, das war mir seltsam vorgekommen, so etwas Normales als Geschenk? Auch wenn es nicht «von hier» war? Außerdem bekam ich fünf leere Kassettenhüllen, weil ich mir von ihrer letzten Westreise «leere Kassetten» gewünscht hatte. Im Geburtstagsbrief schrieb sie mir, daß irgendeine Bekannte von ihr an der Galle operiert worden war. Einmal haben wir sie im Krankenhaus besucht, die Strümpfe rutschten ihr bis zu den Füßen, als sie im Bademantel aus dem Zimmer auf den Flur geführt wurde, wo wir uns in einer Ecke zusammensetzten. In einem Plasteteller mit drei Abteilungen, genau so einem wie in der Schulspeisung, gab es das Mittagessen, und dazu ein Schälchen Pflaumenkompott. An der Wand hing ein Bild von einem Gebirge, mein Vater versuchte, sie an die Alpen-Wanderungen mit ihrem Mann zu erinnern, vor dem Krieg, und ich schaffte es nur mit größter Anstrengung, nicht zu weinen. Ich kannte Oma Rakete nur in der Schürze, die bei uns im Schrank hing. Sie zogsie an, wenn sie zu Besuch war, um Stollen zu backen. Das letzte Mal hatte sie mich gebeten, einen Krümel zu suchen, der ihr runtergefallen war, ihre Augen waren zu schlecht. Ich verstand nicht, warum sie sich um einen einzelnen Krümel so mühte. Ich war froh, daß ich nicht zum Begräbnis mußte. Jetzt hatte ich keine Großeltern mehr, das konnte man mit einem gewissen Stolz erwähnen, das bedeutete doch, daß man etwas durchgemacht hatte im Leben, ein Leidensvorsprung.
    Oma Raketes Mischmethode kann ich hier nicht anwenden. Marko läßt zwei Stapel Karten mit den Daumen ineinanderflattern und drückt die Karten so durch, daß sie eindrucksvoll zu einem Block zusammenwachsen. Wie großartig wäre es, wenn ich die Karten jetzt hintereinander in einem Bogen von der einen in die andere Hand rieseln lassen könnte, das wäre fast so schön, wie Spagat zu können, oder einen Salto. Es sieht so einfach aus, als müsse man nur den Trick kennen, oder sich ein einziges Mal zu springen trauen. Wenn man fest daran glaubt, kann man auch Wände hochlaufen. In den Zeichentrickfilmen fällt man ja auch erst dann in den Abgrund, wenn einem bewußt wird, daß man zu weit gerannt ist und unter sich nur noch Luft hat.
    Die anderen zählen immer «Augen», sie sagen «der Alte» und «die Zicke». «Gespaltener Arsch», das sorgt für Aufsehen, weil es selten ist. Ich bin ganz darauf konzentriert zu bedienen, es geht so schnell. Wie bei dem einzigen Fußballtraining, zu dem ich je gegangen bin, die Jungs aus der Nebenklasse hatten sich bei Medizin Buch angemeldet, Marcel und ich gingen einfach mit. Ein Jugendlicher im roten Trainingsanzug teilte uns zum Spielen ein, und jederbekam eine Position zugewiesen, aber ich hatte keine Ahnung, wovon er sprach: «Vorstopper»? Wir spielten immer mit Torwart, Stürmern und den anderen. Marcel ist als einziger in der Klasse kleiner als ich, und wir sind die einzigen, die Fußball spielen. Deshalb verlieren wir alle unsere Klassenspiele. Immer, wenn wir einen Neuen bekommen, der spielen kann, bleibt er am Ende des Jahres sitzen. Beim letzten Spiel, das wir nach einer 1:0-Führung 1:17 verloren haben, hat sich Roberto in den Schneidersitz gesetzt, sich die Ohren zugehalten und Sirenengeräusche gemacht, weil ich ihm unsere Taktik erklären wollte. Ich konnte nicht akzeptieren, daß wir so hoch verloren, und setzte deshalb durch, daß wir immer weiterspielten, wodurch wir doppelt so hoch verloren.
    Weil wir die kleinsten waren und außerdem überzählig, schossen wir auf der schwarzen Aschenbahn einen Stein hin und her, während die anderen auf

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