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Schneesterben

Schneesterben

Titel: Schneesterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Chaplet
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Bremers Kopf spulte weiter. Der Mann entfernt den Korken von der Champagnerflasche und gießt ein. Da steht er, im Kerzenlicht, der große Michael Hansen, den Kopf mit den blonden Haaren gesenkt, in der einen Hand die Flasche, in der anderen zwei Gläser. Das eine reicht er der Frau neben ihm und prostet ihr zu. Dann setzen sich beide auf das Sofa vor dem Kamin. Und der Kriegsberichterstatter erzählt die Geschichte von den beiden Halbwüchsigen, die an einem heißen Augusttag einen anderen kleinen Jungen umbringen – in einem grausamen, archaischen Ritual.
    »Also Michael Hansen war der andere«, sagte Karen.
    »Er war Johannes v. Braun. Und er hielt es für seine Pflicht und Schuldigkeit, mir mitzuteilen, wie Peter Bachmann heute heißt.«
    Der Film wird dunkel. Die Frau stellt das Glas auf den Tisch, springt auf, läuft aus dem Raum, aus dem Haus, steigt in ihr Auto. Sie fühlt sich von ihrem Mann verraten. Und nun erfährt sie von einem, mit dem sie sich hat trösten wollen, wie groß der Verrat in Wirklichkeit ist. Sie ist dem Überbringer der Botschaft nicht dankbar. Im Gegenteil. Denn dieser Mann findet nichts dabei, das Leben seines Jugendfreundes und das von dessen Ehefrau zu zerstören, nur damit er sich selbst als aufrichtig empfinden kann.
    Michael Hansen war ein Sadist, dachte Bremer.
    »Er hat Thomas Regler also wiedererkannt, damals, während der Lesung.« Karen klang erstaunt, als ob sie sagen wollte, wie einfach doch eigentlich alles ist, wenn man endlich die Fakten kennt.
    »Genau. Und ich fürchte, er hat sich mir nur deshalb genähert. Es muß ihm Spaß gemacht haben, mich herumzukriegen und dann… mit alledem herauszurücken.«
    »Er lebte noch, als Sie wegfuhren.« Karen sprach langsam, als ob sie etwas zu Protokoll gäbe. »Sie sind nicht umgekehrt. Sie haben ihn nicht mit dem Stein erschlagen.«
    »Nein.«
    Die Frau fährt in Panik fort, irgendwohin. Sie fährt durch die dunkle Nacht, durch schneeverwehte Straßen, und will sterben. Als sie gefunden wird, halb erfroren, schweigt sie. Es gibt für sie nichts anderes als Schweigen. Sie empfindet keinen Zorn auf ihren Mann, keine Rachegelüste. Nur die Leere, die bleibt, wenn eine Liebe vorbei ist. Es schnürte Bremer die Kehle zu.
    »Und als Ihr Mann während der Verhandlung aufstand und die Schuld auf sich nahm…«
    »… habe ich ihm geglaubt. Ich habe geglaubt, er habe Michael Hansen erschlagen, um ihn daran zu hindern, die Wahrheit zu sagen. Über die Vergangenheit. Schweigen war das einzige, was ich für ihn tun konnte.«
    »Aber er wußte doch gar nicht, daß Michael Hansen sein alter Schulkamerad war.« Es war jetzt so dunkel, daß Bremer Karens Gesicht nicht mehr erkennen konnte, nur Kristas Augen sah er dunkel schimmern im Licht der Kerzen, die er auf den Gartentisch gestellt hatte.
    »Er hätte uns belauscht haben können. Davon jedenfalls bin ich ausgegangen. Es gab ja Anhaltspunkte dafür.«
    Die Frau erinnert sich an ein Auto, das seit Kilometern hinter ihr herfährt, während sie nach Usingen unterwegs ist, in einer verschneiten Nacht, auf einsamen Straßen, weitab von Dorf oder Stadt. Sie erinnert sich an ihren Zorn und ihre Schuldgefühle, stellt sich vor, es sei Thomas, der ihr folgt. Im Rückspiegel sieht sie nur Scheinwerfer. Zu welchem Auto sie gehören, kann sie nicht erkennen.
    »Woher sollte ich wissen, daß es Jens war? Er hatte wohl geglaubt, hinter Thomas herzufahren, wir hatten ja die Autos getauscht. Und dann muß er alles mitangehört haben. Das Fenster war gekippt, weil der Kamin rußte.«
    Es war still geworden in Klein-Roda. Irgendwo rief ein Käuzchen. Von weitem hörte man einen Rehbock bellen. Bremer spürte eine tiefe Müdigkeit. »Und wenn er nicht deinen Mann, sondern dich verfolgte? Er hat dich verehrt, das war nicht zu übersehen.«
    »Nein. Er hat mir alles genau erzählt, voller Häme. Er hat Thomas immer wieder gesehen, wie er Sophie Bachmann besuchte, und sich gefragt, was ein Arzt aus Feldern bei der Dorfhexe machte. Irgendwann hat er ihn beim Abschied ›Mutter‹ zu ihr sagen hören.« Krista klang erschöpft. »Jens hat die Bachmann gehaßt. Und wie er triumphiert hat, als nicht nur Hansen tot war, sondern schließlich auch Peter Bachmann und seine Mutter!«
    »Aber daß Ihr Mann seine Mutter besucht hat – daß er sich überhaupt in diese Gegend getraut hat…«
    Krista lachte leise. »Positionen wie die in Feldern sind selten, das konnte er nicht gut ausschlagen. Und daß ich ausgerechnet

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