anderbookz Short Story Compilation II
Die weiße Katze
Einem durch eigenes Vermögen unabhängigen Gentleman geschah es, daß er im Alter von sechsundfünfzig Jahren eine heftige Abneigung gegen die weiße Perserkatze seiner viel jüngeren Frau faßte.
Sein Haß auf die Katze entbehrte nicht der Ironie und war auch deshalb verwunderlich, weil er sie selbst seiner Frau vor Jahren, gleich nach der Heirat, geschenkt und nach der ihm liebsten Shakespeare-Heldin Miranda genannt hatte.
Der Ironie entbehrte dieser Tatbestand auch deshalb nicht, weil besagter Gentleman kaum zu irrationalen Gefühlsausbrüchen neigte. Abgesehen von seiner Frau (die er spät geheiratet hatte, bei ihm war es die erste Ehe, bei ihr die zweite) brachte er keinem Menschen besondere Zuneigung entgegen und hätte es für unter seiner Würde gehalten, jemanden zu hassen. Denn - wen sollte er schon ernst nehmen? Das eigene Vermögen, das ihn materiell unabhängig machte, erlaubte ihm auch eine Unabhängigkeit des Geistes, die in diesem Ausmaß den wenigsten Menschen zuteil wird.
Julius Muir war schlank gebaut und hatte dunkle, tiefliegende Augen von einer nicht genau bestimmbaren Farbe. Das sich lichtende Haar war bereits leicht ergraut und babyweich, das schmale, gefurchte Gesicht hatte jemand mal - ohne ihm damit plump schmeicheln zu wollen - als lapidar bezeichnet. Aus einer alten amerikanischen Familie stammend, war er für die derzeit so beliebten Strömungen und Tendenzen der »Identität« nicht anfällig. Er wußte, wer er war und wer seine Vorfahren waren, ansonsten konnte er dem Thema kein besonderes Interesse abgewinnen. Sein Studium in Amerika und im Ausland hatte er nicht so sehr als Wissenschaftler denn mit der Freude eines Dilettanten betrieben und machte nicht viel Wesen davon. Schließlich lernt der Mensch zuvörderst aus dem Leben selbst.
Mr. Muir, der mehrere Sprachen fließend beherrschte, pflegte seine Worte ungewöhnlich sorgfältig zu wählen, als müsse er sie erst in die Umgangssprache übersetzen. Seine Haltung war diskret reserviert, ohne jede Eitelkeit oder Arroganz, aber auch ohne jede sinnlose Demut. Er war Sammler (vor allem seltener Bücher und Münzen), doch hatte diese Liebhaberei nichts Zwanghaftes; die Sammelwut gewisser Mitmenschen betrachtete er mit verständnislosem Abscheu. Den sich rasch steigernden Haß auf die schöne weiße Katze seiner Frau fand er deshalb erstaunlich und zunächst durchaus amüsant. Oder beängstigend? Er wußte beim besten Willen nicht, was er davon halten sollte.
Die Animosität begann als eine harmlose häusliche Irritation, ein eher vages Gefühl, daß er, der in der Öffentlichkeit so viel Ansehen genoß, der als hochstehende und bedeutende Persönlichkeit anerkannt war, auch in seinem privaten Bereich Anspruch darauf hatte, in diesem Lichte betrachtet zu werden. Natürlich wußte er sehr wohl, daß Katzen ihre Gunst nicht mit der von Menschen entwickelten Diskretion und Feinsinnigkeit zu erkennen geben. Doch je älter, verwöhnter und wählerischer die Katze wurde, desto deutlicher zeigte sich, daß sie sich als Gegenstand ihrer Zuneigung nicht ihn erwählt hatte ... Alissa war natürlich ihr Lieblingsmensch, auch manche Haushaltshilfen schätzte sie, nicht selten aber war es auch einem völlig Fremden vergönnt, der zum erstenmal bei den Muirs eingeladen war, Mirandas wetterwendisches Herz zu gewinnen - oder sich zumindest in dieser Illusion zu wiegen. »Miranda! Komm her!« rief dann Mr. Muir - durchaus freundlich zwar, aber gebieterisch, er war der Katze gegenüber stets von einer im Grunde recht albernen Rücksichtnahme -, woraufhin Miranda gewöhnlich den Blick gleichmütig und ohne Blinzeln auf ihn richtete, aber keinen Schritt auf ihn zutat. Wie töricht, schien sie zu sagen, ein Geschöpf zu hofieren, das sich so wenig aus dir macht!
Wenn er versuchte, sie auf den Arm zu nehmen, sie sich wie spielerisch zu unterwerfen, wehrte sie sich nach echter Katzenart so heftig wie bei Unbekannten. Als sie sich einmal zappelnd aus seinem Griff befreite, kratzten ihre Krallen ihm die Haut blutig, und ein wenig Blut geriet auf den Ärmel seiner Smokingjacke. »Julius, Lieber, bist du verletzt?« fragte Alissa. »Aber nein.« Mr. Muir tupfte mit einem Taschentuch an den Kratzern herum. »Ich glaube, Miranda ist nervös, weil wir Besuch haben«, sagte Alissa, »du weißt ja, wie sensibel sie ist.« »Allerdings«, bestätigte Mr. Muir milde und blinzelte seinen Gästen zu. Aber in seinem Kopf pochte es, am liebsten
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