Schnelles Denken, langsames Denken (German Edition)
Perfektion, wenn man sich nicht langweilt. Am wichtigsten war vielleicht, dass wir unsere kritischen Waffen an der Tür abgaben. Sowohl Amos als auch ich waren kritisch und streitlustig – er noch mehr als ich, aber in den Jahren unserer Zusammenarbeit hat keiner von uns beiden irgendetwas, was der andere sagte, rundweg abgelehnt. Eine der größten Freuden, die mir die Zusammenarbeit mit Amos schenkte, bestand gerade darin, dass er viel deutlicher als ich selbst sah, worauf ich mit meinen vagen Gedanken hinauswollte. Amos war der bessere Logiker von uns beiden, er war theoretisch versierter und hatte einen untrüglichen Orientierungssinn. Ich hatte einen intuitiveren Zugang und war stärker in der Wahrnehmungspsychologie verwurzelt, aus der wir viele Ideen übernahmen. Wir waren einander hinreichend ähnlich, um uns mühelos zu verständigen, und wir waren hinreichend unterschiedlich, um uns gegenseitig zu überraschen. Wir verbrachten routinemäßig einen Großteil unserer Arbeitstage zusammen, oftmals auf langen Spaziergängen. Während der kommenden 14 Jahre bildete diese Zusammenarbeit den Mittelpunkt unserer Leben, und unsere gemeinsamen Arbeiten aus dieser Zeit waren das Beste, was jeder von uns überhaupt an wissenschaftlichen Beiträgen lieferte.
Wir entwickelten schon bald eine bestimmte Vorgehensweise, die wir viele Jahre lang beibehielten. Unsere Forschung bestand in einem Gespräch, in dem wir Fragen erfanden und gemeinsam unsere intuitiven Antworten überprüften. Jede Frage war ein kleines Experiment, und wir führten an jedem Tag viele Experimente durch. Wir suchten nicht ernsthaft nach der richtigen Antwort auf die statistischen Fragen, die wir stellten. Wir wollten die intuitive Antwort herausfinden und analysieren, die erste, die uns einfiel, diejenige, die wir spontan geben wollten, auch wenn wir wussten, dass sie falsch war. Wir glaubten – richtigerweise, wie sich zeigte –, dass jede Intuition, die wir beide teilten, auch von vielen anderen geteilt würde und dass es leicht wäre, ihre Auswirkungen auf Urteile nachzuweisen. Einmal entdeckten wir zu unserer großen Freude, dass wir die gleichen verrückten Ideen über die zukünftigen Berufe mehrerer Kleinkinder hatten, die wir beide kannten. Wir identifizierten den streitlustigen dreijährigen Anwalt, den schrulligen Professor, den empathischen und leicht zudringlichen Psychotherapeuten. Natürlich waren diese Vorhersagen absurd, aber wir fanden sie trotzdem reizvoll. Es war auch klar, dass unsere Intuitionen von der Ähnlichkeit beeinflusst wurden, die das jeweilige Kind mit dem kulturellen Stereotyp eines bestimmten Berufs aufwies. Diese lustige Übung half uns dabei, eine Theorie zu entwickeln, die damals in unseren Köpfen im Entstehen begriffen war, und zwar über die Bedeutung der Ähnlichkeit bei Vorhersagen. Wir überprüften und verfeinerten diese Theorie in Dutzenden von Experimenten, wie etwa dem folgenden.
Wenn Sie über die nächste Frage nachdenken, sollten Sie davon ausgehen, dass Steve zufällig aus einer repräsentativen Stichprobe ausgewählt wurde:
Eine Person wurde von einem Nachbarn wie folgt beschrieben: »Steve ist sehr scheu und verschlossen, immer hilfsbereit, aber kaum an anderen oder an der Wirklichkeit interessiert. Als sanftmütiger und ordentlicher Mensch hat er ein Bedürfnis nach Ordnung und Struktur und eine Passion für Details.« Ist Steve eher Bibliothekar oder eher Landwirt?
Die Ähnlichkeit von Steves Persönlichkeit mit dem Stereotyp eines Bibliothekars fällt jedem sofort ins Auge, aber dabei werden sachdienliche statistische Erwägungen fast immer außer Betracht gelassen. Wussten Sie, dass in den Vereinigten Staaten auf jeden männlichen Bibliothekar zwanzig Landwirte kommen? Weil es so viel mehr Landwirte gibt, wird man höchstwahrscheinlich auch mehr »sanftmütige und ordentliche« Menschen auf Traktoren als hinter den
Informationsschaltern von Bibliotheken finden. Wir stellten jedoch fest, dass diejenigen, die an unseren Experimenten teilnahmen, die relevanten statistischen Fakten außer Acht ließen und sich ausschließlich auf die Ähnlichkeit stützten. Wir nahmen an, dass sie die Ähnlichkeit als eine vereinfachende Heuristik (grob gesagt: eine Faustregel) benutzten, um ein schwieriges Urteil zu fällen. Das Vertrauen auf die Heuristik verursachte vorhersehbare Verzerrungen in ihren Vorhersagen.
Ein anderes Mal fragten Amos und ich uns nach der Scheidungsrate bei Professoren an
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