Moral in Zeiten der Krise
Vorwort und Danksagung
Ende der sechziger Jahre glaubte eine große jugendliche Leserschaft in meinem Buch Eltern, Kind und Neurose viele der ungelösten Konflikte wiederzuerkennen, die ihre Eltern aus der Hitlerzeit mitgebracht hatten und an ihnen abreagierten. Teile von ihnen brachen zu gesellschaftlichen Reformprojekten auf, fanden es aber nötig, gleichzeitig an den eigenen inneren Schwierigkeiten zu arbeiten. Sie brachten mich dazu, einige ihrer Projekte, zum Beispiel mit Randgruppen und Kinderläden, zu begleiten. Dabei lernte ich besser zu verstehen, wie psychische Innenwelt und politische Tatwelt permanent ineinander greifen. Ich wurde ein Teil des Aufbruchs in der Emanzipations- und Friedensbewegung der siebziger und achtziger Jahre.
Seitdem findet aber ein neuer Generationswechsel statt. Neben die »Krankheit Friedlosigkeit« tritt die »psychische Krankheit Korruption« mit ihrer Finanz-und Wirtschaftskrise und dem Scheitern der Klimaund Umweltvorsorge (Kopenhagen). Wie können wir der jungen Generation helfen, in sich selbst die Wurzel dieser Krankheiten und ihre Möglichkeit zu ihrer Überwindung besser zu verstehen? Was ich dazu selbst in den sozialen Bewegungen und aus Begegnungen mit herausragenden Politikern, Naturwissenschaftlern und Intellektuellen gelernt habe, darüber gebe ich im Folgenden Auskunft.
Allen aus diesem Kreis, den Überlebenden wie den Verstorbenen, sage ich hiermit meinen großen Dank. Besonderen Dank schulde ich Bergrun, meiner Frau, die 64 Jahre mit mir und selbstständig neben mir in gleichem Engagement kämpft, Genugtuung erringt, aberauch Leiden trägt. Kinder und Enkel haben uns geholfen, stets die Verantwortung für die Zukunft im Auge zu behalten. Inzwischen sind drei Urenkel dazu gekommen. 30 Jahre hatte ich das Glück, im Gießener Zentrum für Psychosomatik und im Gießener Institut für Psychoanalyse und Psychotherapie die kreative Zusammenarbeit mit einem wunderbaren Team zu erleben, aus dem zwölf männliche und drei weibliche Mitglieder Professoren bzw. Professorinnen geworden sind. Einige davon gehörten einst zu den Studierenden, die mich vor 40 Jahren in die Arbeit mit Obdachlosen und Kinderläden eingeführt haben.
Drei hilfreichen Gefährten aus der ärztlichen Friedensbewegung möchte ich noch besonders danken. Es sind als Mitgründer der deutschen Sektion der IPPNW Professor Ulrich Gottstein und als Geschäftsführer nacheinander Michael Roelen und inzwischen Frank Uhe.
Bei Ulla Unseld-Berkéwicz bedanke ich mich für ihre Anregung, es noch einmal mit dem Schreiben zu versuchen, und bei Dr. Jonathan Landgrebe für sein kritisches Mitdenken.
Dass man meinem Text hoffentlich nur wenig von der gelegentlichen Zerstreutheit eines Siebenundachtzigjährigen anmerkt, ist das Verdienst der Geduld und der Aufmerksamkeit meiner Sekretärin Katja Enners.
Teil I – Die Innenwelt des Politischen
Einführung
Immer mehr Menschen kommen darauf, dass die akut gewordene Klimabedrohung und das Finanzdesaster keine von außen hereinbrechenden Unglücksfälle sind, sondern von uns Menschen selbst herbeigeführt werden. 30 Jahre haben wir versäumt, einem absehbaren Klimaschock vorzubeugen, obwohl die Wissenschaft uns rechtzeitig gewarnt hat. Und die Finanzkrise kommt nicht wie ein tragisches Schicksal über uns, sondern erweist sich als Strafe für die egoistische Waghalsigkeit einer ganzen Branche, die ihrerseits aber nur vollzogen hat, was wir als Gesellschaft zugelassen haben.
Das macht unsicher und ratlos. Psychotherapeuten merken das an einem gehäuften Auftreten von psychosomatischen Beschwerden, die oft nur eine sprachlose
Angst ausdrücken. Man erfindet neue medizinische Namen für Störungen, die keine regelrechten Krankheiten sind, dennoch sich gleichsam medizinisch
organisieren als »Erschöpfungssyndrom«, »Burn-out«, »Melancholie« oder dergleichen. Eine wesentliche Rolle spielt die Überforderung durch Umstände, wie
sie Daniel Goedevert insbesondere in der Wirtschaft findet:
»Die Wirtschaft hat sich in einen sinnentleerten Geschwindigkeitsrausch hineingesteigert und ein Tempo erreicht, mit dem die Menschen längst nicht mehr Schritt halten können. Das hat zu einer tiefgreifen den Orientierungskrise geführt, deren Symptome sich täglich vervielfachen. Wir hecheln der Entwicklung hinterher und verlieren in diesem aussichtslosen Wettlauf unser Zutrauen in die eigene Fähigkeit, den Gang der Dinge zu gestalten.«
Doch das ist nur die eine Seite,
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