Schnelles Denken, langsames Denken (German Edition)
Militärstrategie, gewinnbringend angewendet.
So haben beispielsweise Politikwissenschaftler herausgefunden, dass die Verfügbarkeitsheuristik zu erklären hilft, weshalb einige Probleme in der Öffentlichkeit große Aufmerksamkeit finden, während andere vernachlässigt werden. Menschen neigen dazu, die relative Bedeutung von Problemen danach zu beurteilen, wie leicht sie sich aus dem Gedächtnis abrufen lassen – und diese Abrufleichtigkeit wird weitgehend von dem Ausmaß der Medienberichterstattung bestimmt. Häufig erwähnte Themen ziehen unsere Aufmerksamkeit auf sich, während andere aus dem Bewusstsein verschwinden. Andererseits entspricht das, worüber die Medien berichten, ihrer Einschätzung dessen, was die Öffentlichkeit gegenwärtig bewegt. Es ist kein Zufall, dass autoritäre Regime unabhängige Medien unter erheblichen Druck setzen. Da das Interesse der Öffentlichkeit am leichtesten durch dramatische Ereignisse und Stars geweckt wird, sind mediale »Fressorgien« weitverbreitet. So war es beispielsweise nach Michael Jacksons Tod mehrere Wochen lang praktisch unmöglich, einen Fernsehsender zu finden, der über ein anderes Thema berichtete. Über höchst wichtige, aber langweilige Themen, die weniger herzergreifend sind, wie etwa sinkende Bildungsstandards oder die Überinvestition medizinischer Ressourcen im letzten Lebensjahr, wird dagegen kaum berichtet. (Während ich dies schreibe, fällt mir auf, dass meine Auswahl von Beispielen mit »geringer Medienpräsenz« von der Verfügbarkeit bestimmt wurde. Die Themen, die ich als Beispiele auswähle, werden häufig erwähnt; genauso wichtige Anliegen, die weniger verfügbar sind, fielen mir nicht ein.)
Damals war es uns nicht völlig klar, aber ein wesentlicher Grund für den breiten Anklang, den Heuristiken und kognitive Verzerrungen außerhalb der Psychologie finden, war ein zufälliges Merkmal unserer Arbeit: Wir nahmen fast immer den vollständigen Wortlaut der Fragen, die wir uns selbst und unseren Versuchspersonen stellten, in unsere Artikel auf. Diese Fragen dienten als Demonstrationen für den Leser; sie sollten ihm verdeutlichen, wie er selbst durch kognitive Verzerrungen zu Fehlurteilen gelangt. Ich hoffe, Sie hatten eine solche Erfahrung, als Sie die Frage über Steve, den Bibliothekar, lasen, die Ihnen helfen sollte, zu erkennen, wie stark Ähnlichkeit (mit Stereotypen) Wahrscheinlichkeitsaussagen beeinflusst und wie leicht relevante statistische Tatsachen ignoriert werden.
Die Fallbeispiele boten Wissenschaftlern unterschiedlichster Disziplinen – insbesondere aber Philosophen und Ökonomen – eine ungewöhnliche Gelegenheit, mögliche Fehler in ihrem eigenen Denken zu beobachten. Nachdem sie sich bei ihren eigenen Fehlern ertappt hatten, waren sie eher bereit, die damals
vorherrschende dogmatische Annahme, jeder Mensch denke rational und logisch, infrage zu stellen. Die Wahl der Methode war entscheidend: Wenn wir nur über Ergebnisse konventioneller Experimente berichtet hätten, hätte der Artikel viel weniger Beachtung gefunden. Außerdem hätten sich skeptische Leser von den Ergebnissen distanziert, indem sie Urteilsfehler auf die bekannte Schludrigkeit von Studenten, die typischen Probanden psychologischer Studien, zurückgeführt hätten. Selbstverständlich haben wir Demonstrationsbeispiele nicht deshalb Standardexperimenten vorgezogen, weil wir Philosophen und Ökonomen beeinflussen wollten. Wir zogen Demonstrationen vor, weil sie unterhaltsamer waren, und wir hatten Glück bei der Wahl unserer Methode sowie in vielerlei anderer Hinsicht. Ein wiederkehrendes Thema dieses Buches ist, dass Glück in jeder Erfolgsgeschichte eine große Rolle spielt; wenn die Geschichte einen nur etwas anderen Verlauf genommen hätte, dann wäre statt einer bemerkenswerten eine mittelmäßige Leistung herausgekommen. Unsere Geschichte bildete da keine Ausnahme.
Die Reaktion auf unsere Arbeit fiel nicht einhellig positiv aus. Insbesondere wurde an unserer Fokussierung auf kognitive Verzerrungen kritisiert, dass sie eine unangemessen negative Sichtweise des menschlichen Denkens nahelege. 3 Wie in der Wissenschaft üblich, haben einige Forscher unsere Ideen weiterentwickelt, und andere legten plausible Alternativen vor. 4 Im Großen und Ganzen aber ist die Idee, dass unser Denken anfällig ist für systematische Fehler, heute allgemein anerkannt. Unsere Forschungsarbeiten über Urteilsprozesse hatten einen viel stärkeren Einfluss auf die
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