Schockwelle
miteinander tuschelten und die Wachen mit wilden Blicken bedachten. Er befahl Leutnant Sheppard, daß seine Männer laden und sich allzeit bereit halten sollten.
Jess Dorsett musterte die große Frau mit dem goldblonden Haar, die allein neben dem Fockmast saß. Sie strahlte Ruhe und Gelassenheit aus, aber auch eine gewisse Härte, so als blickte sie über all das Leid hinweg und erwarte sich gar nichts. Ihre Leidensgenossinnen schien sie kaum wahrzunehmen, ließ sich selten auf ein Gespräch ein, war eher still und zurückhaltend.
Kurzum, sie war, wie Dorsett befand, eine Frau nach seinem Geschmack.
Er schob sich durch die dichtgedrängten Leiber, bis ihm ein Soldat Einhalt gebot und ihn mit seiner Muskete zurückwinkte.
Dorsett war ein geduldiger Mensch; er wartete einfach, bis der Posten abgelöst wurde. Der neue Mann musterte die Frauen mit begehrlichen Blicken, worauf sie ihn binnen kürzester Zeit mit Hohn und Spott übergossen. Dorsett nutzte die Gelegenheit und schlich sich näher zu der unsichtbaren Markierung hin, die Männlein und Weiblein voneinander trennte. Die blonde Frau nahm ihn nicht wahr. Ihre blauen Augen waren weit in die Ferne gerichtet.
»Haltet Ihr Ausschau nach England?« fragte er lächelnd.
Sie wandte sich um und musterte ihn, als müsse sie erst überlegen, ob er einer Antwort würdig sei. »Cornwall. Ein kleines Dorf.«
»Hat man Euch dort festgenommen?«
»Nein, das war in Falmouth.«
»Weil Ihr einen Anschlag auf Königin Victoria unternommen habt?«
Ihre Augen blitzten auf, und sie lachte. »Weil ich eine Zudecke geklaut habe.«
»Vermutlich habt Ihr gefroren.«
Sie wurde mit einemmal ernst. »Sie war für meinen Vater. Er hatte die Lungenkrankheit und lag im Sterben.«
»Das tut mir leid.«
»Ihr seid der Wegelagerer.«
»Ich war es, bis mein Pferd sich das Bein brach und die Häscher der Königin mich einholten.«
»Und Ihr heißt Jess Dorsett.«
Er freute sich, daß sie wußte, wer er war, und fragte sich, ob sie sich nach ihm erkundigt hatte. »Und Ihr seid…?«
»Betsy Fletcher«, versetzte sie unumwunden.
»Betsy«, sagte Dorsett mit großer Geste, »betrachtet mich fortan als Euren Beschützer.«
»Ich brauch’ keinen Wegelagerer«, versetzte sie. »Ich kann mich selber wehren.«
Er deutete auf das versammelte Lumpenpack, das sich auf dem Floß drängte. »Vielleicht könntet Ihr ein Paar starke Hände gebrauchen, bis wir wieder festen Boden unter den Füßen haben.«
»Wieso sollte ich mich einem Mann anvertrauen, der sich noch nie im Leben die Finger schmutzig gemacht hat?«
Er schaute ihr in die Augen. »Ich mag zwar einige Kutschen ausgeraubt haben, aber außer unserem guten Kapitän Scaggs bin ich wohl der einzige hier, von dem Ihr sicher sein könnt, daß er es nicht auf die Frauen abgesehen hat.«
Betsy Fletcher wandte sich um und deutete auf ein paar düster dräuende Wolken, die von einem auffrischenden Wind auf sie zugetrieben wurden. »Verratet mir mal, Mr. Dorsett, wie Ihr mich davor beschützen wollt.«
»Jetzt können wir uns auf was gefaßt machen, Käpt’n«, sagte Ramsey. »Wir sollten besser die Segel einholen.«
Scaggs nickte grimmig. »Nehmt Ersatztauwerk aus dem Faß, laßt es in kurze Leinen schneiden und verteilt sie. Sagt den armen Teufeln, sie sollen sich am Floß festbinden, damit sie der Sturm nicht fortreißt.«
Immer höher wogte die See, und das Floß schlingerte und rollte, als die Wellen über die dicht zusammengedrängten Leiber hinwegspülten. Die Passagiere klammerten sich um ihr Leben an die Tampen, während die Schlaueren sich gleich an den Planken festgezurrt hatten. Der Sturm war nicht halb so stark wie der Taifun, dem die
Gladiator
zum Opfer gefallen war, aber schon nach kurzer Zeit wußte niemand mehr, wo das Floß anfing und die See aufhörte.
Hoch türmten sich die Wogen auf, von deren Schaumkronen weiße Gischt wehte. Manch einer der Schiffbrüchigen versuchte aufzustehen, um den Kopf über Wasser zu halten, doch das Floß stampfte und rollte so wild, daß sie fast augenblicklich wieder aufs Deck geschleudert wurden.
Dorsett band Betsy mit ihrer beider Leinen am Mast fest.
Dann schlang er die Arme um die Wanten und schirmte sie mit seinem Körper vo r der Wucht der Wogen ab. Zu allem Überfluß fegte der Wind Regenschauer heran, die wie ein Steinhagel auf das Floß einprasselten, während die aufgewühlte See von allen Seiten hereinbrach.
Die einzigen Laute, die das entfesselte Heulen des Sturmes
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