Schöne Bescherung
Ribbenhold, als sich Herr von Alten nach ihr erkundigte.
»Na ja, die Jugend«, entgegnete Herr von Alten und rollte wieder mit den Augen.
Auffallend besser ging es schon wieder Frau Klinkermann. Sie schien sich vom Ableben ihres Zwerghasen mittlerweile ganz erholt zu haben. Sie strahlte wieder und lachte, wenn Herr von Alten mit seinen Komplimenten hausieren ging und gelegentlich auch bei ihr vorbeikam. Das weibliche Geschlecht am Tisch hing ihm an den Lippen. Ständig tischte von Alten Anekdoten auf, erzählte Schnurren über die Berühmtheiten, die hier im Hotel zu Gast waren, oder gab Wissenswertes über Karlsbad oder das Grandhotel zum Besten, als ob er gerade kein vorzügliches Drei-Gänge-Menü verspeist, sondern alle Reiseführer über Karlsbad gefressen hätte.
»Wussten Sie, dass hier jedes Jahr die schönsten Mädchen der Tschechischen Republik gekürt werden?«
Herr von Alten schaute zuerst Frau von Ribbenhold an, dann Frau Klinkermann und zuletzt Frau Weller, so dass alle drei gemeinsam ein wenig rot wurden. Herr Wilhelm schaute sich um, als ob die Wahl gerade in seinem Rücken stattfinden würde und er einen Blick auf das schönsten Mädchen werfen wollte. Dann sagte er: »Sagt eine Fünfjährige zu einer Vierjährigen: ›Du, gestern habe ich ein Kondom auf der Terrasse gefundene Sagt die Vierjährige: ›Was ist das, eine Terrasse?‹«
Die Damen lachten aus Verlegenheit so laut, dass den Serviermädchen mit den weißen Spitzenschürzen das Grinsen verging.
»Meine Damen«, sagte Herr von Alten, »ganz besonders empfehle ich das Casino in diesem Hause. So wie ich Sie bisher erleben durfte, verbirgt sich bei Ihnen allen eine riesige Portion Glück und wartet nur darauf, gleichsam wie Dornröschen von einem Prinzen, wachgeküsst zu werden. Damit meine ich nicht nur das Glück im Spiel, auch das in der Liebe.«
Das klang nach Anmache, nach schwülstigem Baggern – für Plotek. Für die Damen am Tisch klang es nach Dessert.
Als ob »Liebe« Helgas Stichwort gewesen wäre, sagte sie ganz feierlich, während sie die Hand auf die ihres Mannes legte: »Wir feiern heute unsere silberne Hochzeit.«
Heinz nickte ebenso feierlich – und das Glück bekam ein Gesicht, wenn auch kein unbedingt erstrebenswertes.
»Bravo!«, schrie Herr von Alten, sprang vom Stuhl, zitierte die Serviermädchen und Kellner herbei, bestellte Champagner, nahm sein Glas und sagte: »Wenn das kein Grund zu feiern ist!«
Alle anderen bis auf Plotek nahmen auch ihr Glas und nickten.
»Auf dass Sie noch lange miteinander glücklich sind und dann ebenso glücklich goldene Hochzeit feiern, vielleicht wieder in Karlsbad in diesem wunderschönen Grandhotel. Meine liebe Helga, mein lieber Heinz, ich wünsche Ihnen Glück, viel Segen, viel Liebe und einen geruhsamen Lebensabend.«
Plotek gähnte, während Herr von Alten Helga auf die Wange küsste, so dass auch sie jetzt rot wurde. Er schüttelte Heinz mit beiden Händen die Hand, als ob das nicht der Trachten-Heinz aus der Nähe von Ulm, sondern wieder eine der gerahmten Persönlichkeiten vom Flur gewesen wäre. Das schien Eindruck zu machen. Frau Klinkermann und Frau von Ribbenhold staunten, weniger über die silberne Hochzeit von Helga und Heinz. Vielmehr über Herrn von Altens erfrischendes Engagement, seinen in ihren Augen unbezwingbaren Charme, seinen Witz und vor allem über die gewählte Ausdrucksweise.
Auch Frau Weller und ihre Mutter verfielen zeitweilig Herrn von Altens Worten. Die Mami immer nur dann, wenn Herr von Alten von Goethe sprach, seinem Aufenthalt in Marienbad und seiner unglücklichen Liaison mit Ulrike von Levetzow. Das Luder, dachte Plotek. Selbst Herr Wilhelm hielt sich mit seinen Witzen zurück, wenn Herr von Alten erzählte.
Authentischer Überzeugungstäter oder schlechter Schauspieler, dachte Plotek, der seine zwielichtige Rolle offenbar ganz gut gelernt hatte. Als Herr von Alten von den jährlichen Filmfestivals der Vergangenheit in Karlsbad und seinen prominenten Gästen im Grandhotel erzählte und alle an seinen Lippen hingen, als wäre er selbst der prominenteste Gast gewesen, simulierte Plotek eine kurzzeitige Magenverstimmung. Er schlich sich von der Reisegesellschaft fast unbemerkt davon. Nur die Serviermädchen und die Kellner in den weißen Jacken guckten ihm lächelnd hinterher und dachten bestimmt: zwielichtige Gestalt oder schlechter Schauspieler.
6
Plotek konnte nicht schlafen. Er lag in diesem riesigen Bett, starrte zur Decke, an der
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