Schöne neue Welt
Kubikzentimeter, betonte er - und wie nach zehn Minuten der Behälter aus der Flüssigkeit gehoben und sein Inhalt neuerlich untersucht wurde. Waren einige Eier unbefruchtet geblieben, wurde er noch ein zweites Mal und, wenn nötig, noch ein drittes und viertes Mal eingetaucht. Dann kamen die befruchteten Eier zurück in die Brutofen, wo die Alphas und Betas bis zur endgültigen Abfüllung in die Flaschen blieben, während die Gammas, Deltas und Epsilons schon nach sechsunddreißig Stunden herausgenommen und dem Bokanowskyverfahren unterzogen wurden. »Bokanowskyverfahren«, wiederholte der Direktor, und die Studenten unterstrichen das Wort in ihren Heftchen.
Ein Ei - ein Embryo - ein erwachsener Mensch: das Natürliche. Ein bokanowskysiertes Ei dagegen knospt und sproßt und teilt sich. Acht bis sechsundneunzig Knospen und jede Knospe entwickelt sich zu einem vollausgebildeten Embryo, jeder Embryo zu einem vollentwickelten Menschen. Sechsundneunzig Menschenleben entstehen zu lassen, wo früher nur eines entstand: Fortschritt.
»Das Bokanowskyverfahren«, schloß der BUND, »besteht im wesentlichen aus einer Reihe von Unterbrechungen des Entwicklungsverlaufs. Wir hemmen das normale Wachstum, und, so paradox es klingt, das Ei reagiert darauf mit Knospung.«
Reagiert mit Knospung. Die Bleistifte waren geschäftig am Werk.
Der Direktor wies auf ein sehr langsam laufendes Band, auf dem soeben ein Gestell voller Reagenzgläser in einen großen Metallkasten befördert wurde; ein anderes Gestell verließ ihn im selben Moment. Der Mechanismus surrte leise. Acht Minuten dauerte es, bis die Röhrche n den Kasten durchlaufen hatten, erklärte der Direktor. Acht Minuten starker Röntgenbestrahlung waren nahezu das Äußerste, was ein Ei aushalten konnte. Einige gingen zugrunde; die am wenigsten empfänglichen teilten sich in zwei; die meisten trieben vier Knospen; manche acht. Alle wurden in die Brutofen zurückgebracht, wo sich die Knospen zu entwickeln begannen; dann, nach zwei Tagen, wurden sie plötzlicher Kälte ausgesetzt und so im Wachstum angehalten. Nun trieben die Knospen ihrerseits zwei, vier oder acht Knospen. Wenn es soweit war, erhielten sie eine fast tödliche Menge Alkohol zugesetzt, bildeten daraufhin abermals Knospen, und dann, wenn die Knospe aus der Knospe der Knospe entsprungen war, ließ man sie sich in Ruhe weiterentwickeln, da eine weitere Unterbrechung meist verhängnisvoll wirkte. Zu diesem Zeitpunkt wurden aus dem ursprünglichen Ei bereits acht bis sechsundneunzig Embryos - gewiß ein gewaltiger Fortschritt gegenüber der Natur! Völlig identische Geschwister, aber nicht lumpige Zwillinge oder Drillinge wie in den alten Zeiten des Lebendgebärens, als sich ein Ei manchmal zufällig teilte, sondern Dutzendlinge, viele Dutzendlinge auf einmal.
»Dutzendlinge«, wiederholte der Direktor mit weitausholender Armbewegung, als verteilte er Almosen. »Viele Dutzendlinge.«
Ein Student war töricht genug, zu fragen, wo da der Vorteil liege.
»Aber, lieber Freund!« Der Direktor drehte sich mit einem Ruck zu ihm um. »Begreifen Sie nicht? Ja, begreifen Sie denn das nicht?« Er hob den Zeigefinger mit feierlicher Miene. »Das Bokanowskyverfahren ist eine der Hauptstützen für eine stabile Gesellschaft.«
Eine der Hauptstützen für eine stabile Gesellschaft.
Menschen einer einzigen Prägung, in einheitlichen Gruppen. Ein einziges bokanowskysiertes Ei lieferte die Belegschaft für eine kleine Fabrik.
»Sechsundneunzig völlig identische Geschwister bedienen sechsundneunzig völlig identische Maschinen!« Seine Stimme bebte fast vor Begeisterung. »Da weiß man doch wirklich, woran man ist! Zum ersten Mal in der Weltgeschichte!« Er zitierte den Leitspruch des Erdballs: »Gemeinschaftlichkeit, Einheitlichkeit, Beständigkeit.«
Goldene Worte. »Wenn sich das Bokanowskyverfahren unbegrenzt fortführen ließe, wäre das ganze Problem gelöst.«
Gelöst durch gleiche Gammas, identische Deltas, einheitliche Epsilons. Millionlinge. Massenproduktion, endlich auch in der Biologie.
»Aber leider«, der Direktor schüttelte den Kopf, »können wir nicht unbegrenzt bokanowskysieren.«
Sechsundneunzig schien das Äußerste zu sein, zweiundsiebzig ein gutes Durchschnittsergebnis. Mit ein und demselben Ovar und dem Samen eines einzigen Mannes möglichst viele Gruppen identischer Geschwister zu erzeugen, war die Bestleistung (leider nur eine zweitbeste), und sogar die zu erreichen, war schwierig.
»Denn die
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