Schöpfung außer Kontrolle: Wie die Technik uns benutzt
mal, werden Sie jetzt vielleicht denken, jemand außerhalb meiner Wohnung kann sehen, ob ich gerade die Wäsche wasche, mir einen Kaffee koche oder ein Brot in den Toaster schiebe? In der Tat, so ist es. Aber mir geht es nicht um die Implikationen, die solche Technik für den Datenschutz hat. Smart Meter mögen durchaus nützlich, vielleicht sogar im Sinne der Energieeffizienz und des Umweltschutzes notwendig sein; sie sind inzwischen bei Neubauten sogar gesetzlich vorgeschrieben. Auf jeden Fall aber sind sie ein Beispiel für das subtile Eindringen der Computertechnik in immer mehr Lebensbereiche.
Wenn man Computer miteinander vernetzt, schafft man eine Komplexität, die noch einmal sehr viel größer ist als die Summe der Komplexität der Einzelteile. Das lässt sich an einem einfachen Rechenbeispiel verdeutlichen: Ein primitives Datennetz aus drei Knoten kennt drei mögliche Verbindungen, die jeweils ein- oder ausgeschaltet sein können. Das System hat dann 23 = 8 mögliche Zustände, je nachdem, welche Verbindung zwischen den Knoten aktiv ist und welche nicht. Fügt man zu einem solchen System nur einen weiteren Knoten hinzu, gibt es 6 mögliche Verbindungen, die Zahl der möglichen Zustände steigt somit auf 26 = 64. Noch ein weiterer Knoten, und wir sind schon bei mehr als 1000 möglichen Zuständen. Ein System mit nur 10 Knoten, die alle untereinander verbunden sein können, hat mehr als 35 Billionen verschiedene mögliche Zustände.
Mit anderen Worten: Wenn wir ein rapide wachsendes System von miteinander vernetzten Computern schaffen, die jeder für sich immer leistungsfähiger werden, dann steigern wir die damit verbundene Komplexität ins Unermessliche. Man kann wohl davon ausgehen, dass das Internet mit allen daran angeschlossenen Computern inzwischen eine weit kompliziertere Struktur hat als ein menschliches Gehirn.
Die Mathematik liefert uns die Grundlage, um einzuschätzen, was wir von einem solchen komplexen, sich permanent dynamisch verändernden System erwarten dürfen. Und nicht umsonst heißt der betreffende mathematische Zweig »Chaostheorie«.
Es lässt sich zeigen, dass schon relativ simple Systeme nicht mehr vollständig berechenbar sind und es unter bestimmten Umständen zu überraschenden, »chaotischen« Schwankungen im Systemzustand kommt. Beispiele solcher chaotischen Systeme finden sich in der Natur zuhauf. Die Tatsache, dass wir trotz der unglaublichen Rechenleistung heutiger Systeme immer noch keine zuverlässige Wettervorhersage erstellen können, ist der chaotischen Natur des komplexen Systems der Atmosphäre geschuldet. Sie kennen vielleicht den Satz des »Schmetterlings in Tokio, der mit einem Flügelschlag in Frankfurt einen Sturm auslösen kann«. Kleine Ursache, große Wirkung -das ist typisch für komplexe Systeme, wobei man ergänzen muss, dass natürlich nicht jeder Flügelschlag eines Schmetterlings irgendwo einen Sturm auslöst. Solche chaotischen Systemveränderungen sind zum Glück selten - aber sie kommen vor, und zwar umso wahrscheinlicher und mit umso gravierenderen Auswirkungen, je komplexer die betreffenden Systeme sind.
Zwei praktische Beispiele mögen veranschaulichen, was das für uns alle bedeutet:
Mitte der sechziger Jahre entstanden die ersten kommerziellen Computersysteme für die betriebswirtschaftliche Verwaltung von Unternehmen. Programme wurden geschrieben, mit denen zum Beispiel automatisch Bilanzen erstellt und Rechnungen geschrieben werden konnten. Zu dieser Zeit war Speicherplatz ein sehr knappes Gut. Also versuchte man bei der Softwareentwicklung, Datensätze so kurz wie möglich zu halten. Beispielsweise speicherte man bei einem Datum nur die letzten beiden Ziffern der Jahreszahl ab - also »60« für »1960«. Vermutlich hatten die betreffenden Programmierer gar nicht erst darüber nachgedacht, aber wenn, hätten sie wohl nicht erwartet, dass die entsprechenden Programmroutinen um die Jahrtausendwende immer noch im Einsatz sein würden.
Doch so war es. Die frühen kaufmännischen Programme entwickelten sich weiter, Anwendungen wurden darum herum gebaut, doch in vielen Unternehmen gab es Mitte der neunziger Jahre immer noch Computersysteme, in deren Eingeweiden irgendwo noch Programmzeilen aus der Frühzeit der Computerentwicklung arbeiteten. Jedenfalls vermutete man das. Und so entstand das, was als »Jahr-2000-Problem« in die Technikgeschichte einging.
In jener Zeit war ich Geschäftsführer eines mittelständischen Unternehmens.
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