Schöpfung außer Kontrolle: Wie die Technik uns benutzt
die Wertmaßstäbe, die wir ihnen vorgeben.
Nehmen wir als Beispiel das Internet. Den Computern, die dieses gigantische Netzwerk bilden, scheint es vollkommen egal zu sein, welche Art von Informationen sie verarbeiten und weiterverbreiten: Neueste Erkenntnisse der Medizin ebenso wie Anleitungen zum Bau von Bomben, Informationen über den Klimawandel, Sexvideos oder absurde Verschwörungstheorien.
Doch auf den zweiten Blick verwenden die Maschinen durchaus Selektionskriterien: Filter, die bestimmte Informationen durchlassen und andere nicht. Am augenfälligsten sind Virenschutzprogramme und Spam-Filter, die unerwünschten Werbe-Müll blockieren sollen. Weniger offensichtlich sind qualitative Filter, wie zum Beispiel die Reihenfolge angezeigter Suchergebnisse bei der Suchma-schine Google. Dabei werden bestimmte Informationen gegenüber anderen bevorzugt. Wie wir gesehen haben, benutzt Google dazu Informationen über die Netzwerk-struktur: Eine Website, auf die viele andere Websites verweisen, wird als höherwertig eingestuft als eine, bei der das nicht der Fall ist. Man kann bei Google auch Geld bezahlen, damit bestimmte Informationen angezeigt werden - diese sind dann allerdings als Werbelinks klar von den übrigen Inhalten getrennt.
Natürlich stellt sich die memetische Evolution auf diese Selektionskriterien ein. Wie wir gesehen haben, werden Viren und auch Spam-E-Mails immer raffinierter darin, die Schutzmechanismen zu umgehen. Viele Firmen nutzen die Selektionsmechanik von Google gezielt aus, um mit verschiedenen Tricks ihren »Page Rank« zu verbessern - hierfür gibt es längst spezielle Dienstleistungsanbieter. Im Internet gefunden zu werden, wird für die Ausbreitung von Memen und damit auch für den Erfolg von Firmen immer wichtiger.
Wenn Maschinen eines Tages vollkommen unabhängig von menschlichen Einflüssen Meme selektieren und verbreiten, werden diese Mechanismen ebenso zum Tragen kommen, vielleicht ergänzt durch ganz neue Kriterien, die wir uns heute noch nicht vorstellen können. Welche Meme sich dann durchsetzen, ist nicht vorhersehbar. Aber wir können davon ausgehen, dass die Maschinen zumindest eine Zeitlang unsere Kriterien weiterverwenden, unser Selektionsverhalten also imitieren werden. Dies ergibt sich als logische Folge daraus, dass wir unsere eigene Selektion immer weiter automatisieren.
Bereits in den neunziger Jahren arbeitete man intensiv an sogenannten »autonomen intelligenten Agenten«, die in der unübersehbaren Fülle des Internets gezielt nach für den Anwender interessanten Informationen suchen und diese dann nach und nach liefern sollten. Die Idee war, dass der Anwender seine Interessen spezifiziert und das Programm dann permanent das Internet durchsucht und gefundene Inhalte abliefert.
Dieser erste Ansatz hat sich aus mehreren Gründen nicht durchgesetzt: Einerseits ändern sich die Interessen der Anwender in aller Regel viel zu schnell - heute suche ich vielleicht bei Google nach Informationen über Konrad Zuse, morgen habe ich eine Frage zum Steuerrecht und übermorgen will ich eine günstige Flugreise buchen. Einen Agenten, der mich permanent mit den neuesten Informationen zu einem dieser Themen versorgt, benötige ich normalerweise nicht. Außerdem erwies sich die Definition der Suchkriterien als außerordentlich aufwendig und schwierig. Jeder, der schon mal etwas bei Google gesucht hat, kennt den Effekt: Man wird geradezu erschlagen von der Menge an Informationen, die einem angeboten werden, und muss mit viel Gespür vorgehen, um Relevantes von Irrelevantem zu unterscheiden. Das erinnert manchmal an die sprichwörtliche Nadel im Heuhaufen. Die Informationssuche im Internet ist selbst für erfahrene Anwender eine alles andere als triviale Aufgabe.
Andererseits wäre es verwunderlich, wenn die Evolution nicht aus dem ursprünglichen Mem der autonomen Agenten praktische Anwendungen entwickelt hätte. In der Tat findet sich der Gedanke, dem Anwender automatisch für ihn relevante Inhalte zu vermitteln, an vielen Stellen im Internet wieder. Manches von dem, was wir scheinbar zufällig entdecken, ist dort extra für uns platziert worden. Wir haben dieses »Targeted Advertising« in Teil II schon kennengelernt. Es entspricht im Grunde der Idee der autonomen Agenten, nur dass wir der Maschine nicht extra erklären müssen, was wir eigentlich suchen. Stattdessen beobachtet sie unser Verhalten, kombiniert dies mit dem beobachteten Verhalten anderer Menschen, zieht
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