Schöpfung außer Kontrolle: Wie die Technik uns benutzt
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Schlussfolgerungen daraus und präsentiert uns dann die Ergebnisse auf eine unaufdringliche Art, so dass wir gar nicht merken, was da passiert.
Ein bekanntes Beispiel sind die »persönlichen Empfehlungen« des Online-Händlers Amazon. Es ist faszinierend, zu sehen, wie exakt die dahintersteckende sogenannte »Recommendation Engine« in der Lage ist, den Lesegeschmack mit neuen Buchempfehlungen zu treffen. Das funktioniert so: Die Maschine analysiert, welche Bücher ein Kunde gelesen hat, und vergleicht dies mit den Büchern, die andere Menschen gelesen haben. Sie folgert, dass Menschen, die dieselben Bücher gelesen haben wie der Kunde, einen ähnlichen Geschmack haben müssen, und empfiehlt entsprechend Bücher, die diese Menschen kauften. Noch bessere Empfehlungen erhält man, wenn man bewertet, wie einem die Bücher, die man bereits besitzt, gefallen haben.
Natürlich findet dabei eine selektive Auswahl statt, die sogar dazu führen kann, dass sich Meme im Kopf des Lesers festsetzen. Interessiert sich ein Leser beispielsweise für »Darwins Irrtum« des Evolutionsgegners Hans-Joachim Zillmer, in dem dieser mit haarsträubenden Argumenten zu belegen versucht, Menschen und Dinosaurier hätten zur selben Zeit gelebt, dann empfiehlt Amazon ihm weitere evolutionskritische Bücher, die meisten vom selben Autor. Das trägt sicher nicht unbedingt zu einer objektiven und sachlichen Auseinandersetzung mit dem Thema bei.
Wir müssen uns klarmachen, was hier passiert: Das Internet passt sich mehr und mehr an uns an. Es gaukelt uns eine Art objektive Realität vor, doch in Wirklichkeit sind viele der Informationen, die wir sehen, für uns vorgefiltert worden.
Dabei benutzen die Maschinen unser eigenes Verhalten als Maßstab. Sie lernen quasi durch Beobachtung, genau wie Kinder. Sie imitieren unsere Selektionskriterien. Und genau wie bei Kindern sollten wir aufpassen, was wir ihnen beibringen. Denn es könnte sein, dass unser jetziges Verhalten selbst dann noch Maßstab für das Handeln der Maschinen ist, wenn wir selbst gar keinen direkten Einfluss mehr auf sie ausüben.
Falls Maschinen jemals zu so etwas wie Liebe oder Hass, Barmherzigkeit oder Verachtung fähig sein sollten, dann deshalb, weil wir ihnen vorgemacht haben, entsprechend zu reagieren.
Im ersten Teil des Buches habe ich darzulegen versucht, dass die Entwicklung der Technik und die biologische Evolution auf demselben mathematischen Zusammenhang beruhen - einem Algorithmus, der zu einer sich beschleunigenden Entwicklung führt. Der zweite Teil zeigte, dass die Grenzen zwischen natürlich und künstlich, zwischen lebendig und unbelebt fließend sind und dass uns die Kontrolle über die memetische Evolution immer mehr entgleitet. Dennoch haben wir die Macht der Selektion, auch wenn mitunter nicht leicht zu entscheiden ist, welche Meme »gut« und welche »böse« sind.
Was fangen wir nun mit diesen Erkenntnissen an? Welche Rolle wollen wir zukünftig spielen? Wie können wir sicher sein, dass uns die Wahl, die wir treffen, nicht noch tiefer ins Verderben stößt?
Es gibt keine einfachen Antworten auf diese Fragen. Am wichtigsten ist vielleicht die Erkenntnis unserer eigenen Beeinflussbarkeit, unserer Neigung, uns von Memen verführen und gefangen nehmen zu lassen, mögen diese nun »gut« oder »böse« sein. Was wir am dringendsten brauchen, ist vielleicht eine gewisse Demut.
Die schlimmsten Fehler machen wir, solange wir glauben, »alles im Griff« zu haben, und uns als die Herren der Schöpfung wähnen, von Gott oder der natürlichen Selektion dazu auserwählt, über die Natur zu herrschen und mit unserer überragenden Intelligenz die Zukunft des Planeten zu bestimmen. Derartige Überheblichkeit hat dazu geführt, dass wir die Welt - besser gesagt, die menschliche Zivilisation - schon mehrfach an den Rand der Zerstörung gebracht haben.
Diese Arroganz sollten wir schnellstens ablegen. Der Titel des Buches soll das ausdrücken: Wir kontrollieren die von uns geschaffene Technik nicht, sondern, im Gegenteil, sie benutzt uns. Solange wir das nicht verstanden haben, wird es uns ergehen wie dem Zauberlehrling in Goethes Gedicht, der auch glaubte, die Geister, die er rief, beherrschen zu können, bis sie ihn eines Besseren belehrten. Leider können wir aber nicht damit rechnen, dass uns im letzten Moment ein Zaubermeister aus der Patsche hilft.
Wie dargelegt, besitzen wir die Macht der Selektion und müssen sie nutzen. Wir dürfen uns nicht manipulieren
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