Schrei in Flammen
in Ägypten abgeworben, wo sie nach einer misslungenen Karriere in England, ihrer Wahlheimat seit ihrem Psychologiestudium, Zuflucht gesucht hatte. Das war eine einmalige Chance, denn Stellenangebote für Profiler waren rar. Budget gab es nur für die Bereiche mit höchster Priorität, und da die Bandenkriege Kopenhagen bereits lange genug in Atem hielten, hatte Per Kragh eine Chance für die Durchsetzung seiner ganz eigenen Pläne gesehen: Als frisch eingesetzter Dezernatsleiter wollte er klare Duftmarken setzen und sich mit der Anstellung neuer Mitarbeiter profilieren, die das Dezernat mit modernen wissenschaftlichen Methoden bereicherten. Da das Morddezernat aber eine außergewöhnlich hohe Aufklärungsrate vorzuweisen hatte und es keinen wirklichen Bedarf an der Einstellung neuer Experten wie Katrine gab, war er auf die Idee gekommen, sie erst einmal in der brandaktuellen Taskforce einzusetzen. Unter vier Augen hatten sie aber vereinbart, dass er sie nach dem einen Jahr in der Sondereinheit im Morddezernat anstellen wollte. Je besser sie also am jetzigen Ort ihre Arbeit erledigte, desto größer waren die Chancen, doch noch einmal ihre Traumstelle zu bekommen.
»Es ist gut, dich wieder hier zu haben«, sagte Jens, als beide an ihren Schreibtischen Platz genommen hatten. Sie wusste ganz genau, dass er das ernst meinte.
»Es ist auch gut, wieder hier zu sein«, sagte sie, nicht ganz der Wahrheit entsprechend. »Ich muss nur erst …«, sie machte Kreisbewegungen mit ihrem Zeigefinger, »richtig in Gang kommen. Du weißt schon.«
»Natürlich. Lass es ruhig angehen, das versteht hier jeder.«
»Und du … bitte entschuldige, dass ich nicht zurückgerufen habe.«
»Ist schon in Ordnung.«
»Nein, ist es nicht. Aber … Na ja, es ging mir halt wirklich scheiße.«
Jens nickte. »Ich habe mitbekommen, dass deine Krankschreibung verlängert worden ist. Geht’s dir denn jetzt besser?«, fragte er.
»Ja, schon, es geht besser. Ich muss jetzt einfach loslegen.«
»Und, ähm, wie war deine Fahrt nach Ägypten? Ist da alles gutgegangen?«
Sie nickte, und Jens sah in ihren Augen so etwas wie Freude aufblitzen. Dieser verfluchte Aussi. Sie hatte in den drei Monaten vor Weihnachten, vor ihrer Rückkehr nach Dänemark, eine Beziehung zu einem australischen Tauchlehrer gehabt. Und als sie krankgeschrieben war, war sie noch einmal dorthin gefahren. Allein der Gedanke daran quälte ihn.
»Ich habe den PADI -Schein gemacht«, sagte sie stolz.
»Herzlichen Glückwunsch.«
»Danke.«
»Und … war Ian noch da?«, fragte er und nahm einen Schluck Kaffee. Es gelang ihm sogar, die Frage möglichst beiläufig zu stellen.
»Ja, aber er geht jetzt wieder zurück nach Australien. Er hat einen Job am Great Barrier Reef. Also …« Sie zuckte mit den Schultern, sah aber nicht sonderlich traurig aus.
»Ah ja?« Jens fühlte sich gleich viel besser. Australien, das war schön weit weg! Und das Schulterzucken konnte doch wohl nur eins bedeuten. »Tja, dann …«, sagte er beflügelt, »will ich mal versuchen, dir einen Überblick zu geben.«
»Gerne«, sagte Katrine.
Er stand auf, trat an das große Whiteboard, das hinter Katrine hing, und nahm einen Folienschreiber. Katrine schob ihren Stuhl vom Tisch weg, damit sie besser sehen konnte. Jens begann zu zeichnen, aber der Folienstift war eingetrocknet.
»Augenblick«, sagte er und verschwand durch die Tür. Katrine sah ihrem durchtrainierten Kollegen mit den kurzen Haaren und den blauen Augen nach. Sie waren etwa gleichaltrig, Ende dreißig. Bis jetzt war es doch gar nicht so schwer, dachte sie erleichtert. Sie hatte sich so oft vorgestellt, wie alles ablaufen würde.
Er hatte sie nur einmal kurz oben in ihrem Sommerhaus besucht, gleich nach ihrer Entlassung aus dem Krankenhaus. Da war sie noch vollkommen aufgedreht gewesen, fast high, dass sie überlebt und den Fall aufgeklärt hatte. Und dass sie von den schweren Schuldgefühlen befreit worden war. Sie hatte jahrelang geglaubt, ihre Jugendliebe Jon hätte sich das Leben genommen, weil sie mit ihm Schluss gemacht hatte. Doch dann hatte sich gezeigt, dass er gar nicht aus freien Stücken aus dem Leben geschieden, sondern ermordet worden war. Diese Erkenntnis hatte ihr Leben und ihr Selbstbild auf den Kopf gestellt. Und ein ganz neues Licht auf ihr Verständnis von Beziehungen geworfen. Sie hatte lange Telefonate mit ihrer Freundin Fiona geführt, mit der sie in England zusammen studiert hatte, und dabei ganz offen über
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