Schrei in Flammen
7. Mai
Katrine Wraa hatte die erste Woche darauf verwendet, sich in ihr neues Tätigkeitsfeld einzulesen, um einigermaßen vernünftig beschreiben zu können, wie sie die neue Aufgabe angehen wollte. Sie hatte Untersuchungsberichte und Fachliteratur vor allem aus England und den USA gefunden, die sie im Laufe der letzten Tage und Nächte durchgeackert hatte. Erst jetzt, am Freitagnachmittag, war sie in der Lage, den Bericht zu schreiben, den sie am Montag abgeben sollte. Auf der anderen Seite des Tisches bemerkte sie eine gewisse Unruhe.
»Was machst du am Wochenende?«, fragte Jens betont beiläufig, während er sich auf seinem Stuhl zurücklehnte.
»Ich werde wohl arbeiten müssen, wenn ich meinen Bericht für Melby fertigkriegen will«, sagte Katrine, ohne vom Bildschirm aufzublicken.
»Hm.«
»Und du?«
»Ich habe Bereitschaft, aber ich dachte, wir könnten vielleicht, ich meine, wenn du Lust hast …«
»Schönes Wochenende, wollt ihr nicht auch bald nach Hause?«, ertönte es von der Tür, die plötzlich komplett ausgefüllt wurde. Einer der größten Männer, die Katrine jemals gesehen hatte, Lars Sønderstrøm, lehnte am Rahmen und lächelte ihnen gutmütig zu. »Ich mache jetzt jedenfalls bis Sonntag frei«, fuhr er fort. »Dann muss ich wieder hier antreten, aber okay, ich habe ja gerade erst 57 Überstunden abgefeiert.«
Jens sah Lars verärgert an. Katrine wunderte sich den Bruchteil einer Sekunde, dann hatte sie verstanden. Hatte er sie wirklich fragen wollen, ob sie sich sehen sollten?, dachte sie und spürte einen Anflug von Panik.
»Stimmt, höchste Zeit, Feierabend zu machen«, beeilte sie sich zu sagen und stand auf.
»Übrigens, schön, dass du wieder hier bist«, sagte Lars Sønderstrøm, trat einen Schritt vor und reichte ihr die Hand. Katrines Hand verschwand vollständig in seiner Bärenpranke.
»Danke«, sagte Katrine.
»Es ist schon eine Leistung, nach alldem, was du durchgemacht hast, hierher zurückzukommen«, sagte er, bevor er ihre Hand losließ. »Das hätten nicht alle geschafft.«
»Danke«, sagte sie noch einmal. Ein Augenblick der Stille schob sich zwischen sie. Sie hätte etwas Kluges, Einsichtiges sagen wollen, aber ihr fehlten die Worte. Stattdessen nickte sie nur. Er erwiderte ihr stummes Nicken und zwinkerte ihr zu.
»Tja, dann packe ich mal zusammen«, sagte sie und begann zwei große Plastiktüten mit den ausgedruckten Berichten und Artikeln zu füllen.
»Also, schönes Wochenende dann«, sagte Lars und verschwand.
Sie steckte ihren Laptop in die Tasche, hängte sie sich über die Schulter und stand beladen wie ein Packesel da, als Jens aufstand.
»Ich dachte mir … Also, ein Freund von mir hat ein kleines Speedboat, das ich mir manchmal ausleihe. Es ist ziemlich cool, sich Kopenhagen vom Wasser aus anzusehen. Wenn du also Lust hättest, könnten wir am Wochenende ein bisschen Boot fahren?«
Jens Høgh ist ein Romantiker, dachte sie, im Grunde nicht sehr überrascht. Eigentlich hätte sie gern ja gesagt, aber das Ganze war so schon kompliziert genug.
»Klingt sehr verlockend«, sagte sie und schnappte sich die Tüten. »Aber ich schaffe das nicht, wenn ich Melby am Montag was Anständiges abgeben will.«
Die Enttäuschung war ihm anzusehen. »Kein Problem«, sagte er schnell. »Dann sehen wir uns Montag.«
Sie nickte und ging.
*
Die kleinen Rippen auf der Wasseroberfläche rollten mit einem leisen Glucksen auf den Strand und wurden zu einem Rieseln, als das Wasser wieder zurücklief und Sand und kleine Kiesel mit sich zog. Der Strand war in dieser Mainacht wunderbar einsam. Am Himmel war keine Wolke mehr, nachdem es am Abend aufgeklart hatte, und der Mond spiegelte sich wie ein leuchtender Streifen Silber auf dem Wasser. Katrine ging gerne im Dunkeln ans Wasser, wenn sie dort allein war, schlafen konnte sie ohnehin nicht.
An dem ganz besonderen Platz blieb sie eine Weile stehen. Hier hatte sie vor ein paar Monaten das Leben verloren und wiedergewonnen. Sie hatte nicht einfach nur in Lebensgefahr geschwebt. Sie war tot gewesen. Ertrunken.
Und Jens hatte ihr das Leben gerettet. Er hatte sie hier an diesem Strand gefunden und sie im letztmöglichen Augenblick wiederbelebt, ihr Brustbein wieder und wieder nach unten gedrückt und ihr Herz so noch einmal zum Schlagen gebracht. Anschließend hatte sie schreckliche Schmerzen gehabt. Jens hatte ihr drei Rippen gebrochen, was sie ihm aber nie erzählt hatte.
Nach einigen Tagen im Krankenhaus und einem
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