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Die Seelenpest

Die Seelenpest

Titel: Die Seelenpest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Seidel
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1. K APITEL ,
    in welchem Tod und Leben billig sind
     
     
     
    London, 1521
     
    The Bear Garden hieß ein verrufener Ort in Southwark, der nah am Südufer der Themse, unweit westlich der Brücke lag.
    Von der Stadt aus sah man jenseits des Flusses die roten Dächer der beiden kreisrunden, hölzernen Arenen mit ihren bunten Fahnen frech über alle Häuser und Bäume hinausragen. Im Grunde war es ein skandalöser Anblick.
    Jeden Dienstag und Donnerstag passierte Andrew Whisper nach dem Unterricht die Brückentore, meldete sich vor den Arenen beim Tierwart und verdiente sich, seit er fünfzehn Jahre alt geworden war, mit allerlei Arbeiten in den Stallungen ein paar Pennys Taschengeld. Es musste ein Geheimnis bleiben. Bear Garden hatte einen denkbar schlechten Ruf.
    Auch Margaret ahnte nichts davon, das hoffte Andrew jedenfalls. Nach der Arbeit wusch er sich und lief den Fluss hinauf bis zu einem Wäldchen, wo sie sich heimlich trafen. Zu selten, was daran lag, dass Margaret eine Morland war, die älteste Tochter von Sir Thomas Morland, Unterschatzkanzler und Sekretär des Königs, ein strenger und sehr einflussreicher Mann. Er selbst, Andrew, war dagegen ein Niemand und auch sein Vater hatte keinen Namen. Es war alles schwierig! Trotzdem war Andrew froh, dass er Margaret kannte und sehr mochte. Er freute sich auf sie. Am Nachmittag würde sie über die Brücke nach Southwark kommen, um ihn zu treffen.
    Kämpfe fanden in Bear Garden an vier Tagen in der Woche statt. In der östlichen Arena kämpften die Bären um ihr Leben, in der westlichen die Stiere. Das Ganze war verpönt. Dennoch sah man viele Adlige, schlecht verkleidete Mönche, sogar Priester, spielkranke Damen und italienische Tuchhändler, die sich dort amüsierten. Und natürlich viele andere Londoner. Sie schrien und jubelten und trugen heimlich Waffen bei sich. Nur seine engsten Freunde wussten, dass Andrew hier die Ställe kehrte, die riesigen Schwarzbären und Stiere fütterte und die Wände der Arenen mit Essigwasser abwusch, nachdem sich das wilde, bunte Publikum verlaufen hatte.
    Vor allem der Schulrektor und die Lehrer wussten nichts davon. Das New Inn war die renommierteste Rechtsschule Londons. Andrew durfte sie besuchen, es war ein Privileg. Aber nicht sein Vater trug die Kosten, sondern der Rektor und ein paar Adlige, die Andrew gar nicht kannte. Sie bezahlten das Schulgeld für die jeweils Jahresbesten. Auch schlief und aß er in der Schule; da gab es keinen Unterschied, egal ob einer reiche Eltern hatte oder nicht. Nur Taschengeld war nicht dabei.
    Andrew hatte Pläne. Er konnte Anwalt werden oder Beamter. Wenn er fleißig war, würde er das Recht bekommen, sich eine Frau zu suchen, nicht irgendeine, Margaret, im Prinzip, wenn bloß ihr Vater nicht dagegen wäre, aber das war er nun mal und er würde seine Meinung niemals ändern. Oder vielleicht doch…?
    »Was ist los mit dir?«, kläffte der Tierwart. »Du träumst doch wieder! Ich mach dir Beine!«
    Er trat nach Andrew.
    Der Junge sprang zur Seite und ging an seine Arbeit in den Ställen, verteilte Stroh, rieb die zwei Pferde des Betreibers ab, der einmal an jedem Kampftag aus Bermondsey kam, um die Wetteinnahmen abzuholen.
    Der Lärm aus den Arenen war beängstigend. Gejohle, Pfiffe gellten herüber. Jetzt lief der Bär in die Arena. Andrew überkam jedes Mal ein Schauer, wenn es so weit war. Er kannte jeden Augenblick der Kämpfe.
    Es war so unfair! Wären es vier oder fünf Hunde, die man drüben auf den Stier losließ und hier dem Bär entgegenhetzte, wäre es vielleicht ein echter Kampf. Aber es waren jeweils acht und mehr Hunde, alle kräftig, über Tage hin bewusst gereizt und hungrig.
    Die Rufe, Flüche, Schreie wurden schlimmer. Andrew genügten die Geräusche, er brauchte nicht mehr hinzusehen, um genau zu wissen, was in der Arena gerade vor sich ging. Jetzt war der Bär von einem kleinen Pfeil getroffen worden, der ihn noch wilder und zorniger machen sollte. Nun erst wurden die Hunde eingelassen. Sie jagten kläffend auf den Platz, der überall mit roten Inseln übersät war, das trockene Blut vergangener Kämpfe.
    Der Tierwart schickte Andrew an die Rampe der Arena, um dort Unrat aufzusammeln. Die Luft war voller Lärm und Staub. Die Leute tobten, warfen ungeduldig Steine nach den Tieren.
    Die Hunde griffen nie sofort an. Voller Misstrauen schlichen sie umher und witterten, lauernd und nervös. Der Bär schüttelte den schweren Kopf. Er hob die Nase, sog Luft ein und spürte

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