Schule für höhere Töchter
Kapitel Eins
D as Telefon und die Türklingel läuteten gleichzeitig in der Wohnung der Amhearsts und lösten so Aktionen aus, die Reed vergnügt an Theaterstücke wie ›You Can’t Take It With You‹ denken ließen.
»Das waren noch Zeiten im Theater«, sagte er und erhob sich von der Couch, auf der Kate und er sich einen Cocktail gegönnt hatten.
»Vielleicht«, antwortete Kate und stellte ihr Glas ab. »Ich habe aber das Gefühl, die Griechen haben große Dramen geschrieben, weil sie keine Klingeln brauchten, um ihre Darsteller auf die Bühne zu schicken oder wieder zurückzurufen.«
»Du nimmst die Tür«, sagte Reed, »ich das Telefon.« Er ging durch den Flur zu seinem Arbeitszimmer und nahm den Hörer ab. »Hallo«, sagte er und wünschte, er hätte seinen Martini mitgenommen.
»Hier spricht Miss Tyringham vom Theban«, begrüßte ihn eine kultivierte Frauenstimme. »Könnte ich bitte Mrs. Reed Amhearst sprechen?«
»Und hier spricht Mr. Amhearst von Kaufman und Hart«, hätte Reed am liebsten gespöttelt. Er hörte Kate an der Wohnungstür. »Großer Gott«, sagte sie mit einem erstaunten Unterton, der nichts Gutes ahnen ließ. »Also, komm erst einmal herein und laß uns darüber reden.«
»Bitte bleiben Sie einen Moment am Apparat«, sagte Reed. »Ich sehe nach, ob sie da ist.«
»Danke. Ich bitte um Entschuldigung, daß ich Sie um diese Zeit störe, aber es handelt sich um etwas recht Wichtiges.«
»Mrs. Amhearst hieß doch mit Mädchennamen Kate Fansler, nicht wahr? Früher, auf der Theban-Schule.«
Sie heißt und wird immer heißen, dachte Reed zufrieden. Dann antwortete er. »Warten Sie einen Augenblick.«
Er ging vorsichtig zum Wohnzimmer zurück, wie eine Katze an einen Ort zurückkehren würde, wo unbekannte, vielleicht sogar gefährliche Wesen eingedrungen waren.
Er sah, wie Kate sich einen neuen Martini mixte – was eindeutig ein schlechtes Zeichen war; schließlich behauptete sie stets, wenn Reed ihn mixte, schmecke er wie Nektar, bei ihr dagegen würde nur giftiges Haarwasser daraus. Auf der Couch saß zusammengesunken und den Kopf in den Händen vergraben ein langhaariges junges Wesen, dessen männliches Geschlecht an einem Bart zu erkennen war und an der Tatsache, daß er sich nach kurzem erhob, als erinnerte er sich dunkel an eine Zeit, in der man ihm die Umgangsformen einer versunkenen Welt beigebracht hatte. Auf der Flucht, dachte Reed. Hoffentlich Kaufman und Hart und nicht Sophokles.
»Reed«, sagte Kate, »ich möchte dir John Megareus Fansler vorstellen; Jack nennen ihn seine Freunde.«
»Von denen er sicherlich eine Menge hat«, sagte Reed und gab ihm die Hand.
»Ein Neffe?« fragte Reed. »Verwandt mit deinem anderen Neffen, dem Leo? Ich glaube, wir haben uns noch nicht kennengelernt.«
»Nein, habt ihr nicht«, sagte Kate. »Er ist nicht aufgekreuzt bei diesem ungeheuren Empfang, den die Fanslers für die Frischvermählten gegeben haben. Kluger Junge.«
Jack lächelte. »Leo hat mir erzählt, daß es ein ziemlicher Mist war«, sagte er, »bis auf das Essen. Ted, der erst zwölf ist, nimmt nie etwas anderes zur Kenntnis außer dem Essen. Ja, ja, meine Brüder.«
»Möchtest du etwas trinken?« fragte Reed und beugte sich zur Martinikaraffe. »Bier vielleicht, oder einen Sherry?«
Jack schüttelte den Kopf. »Ich trinke nicht«, sagte er. »Ich möchte nichts.«
»Ich vergesse immer wieder, daß deine Generation ja nicht trinkt«, sagte Reed. »Meine sollte es eigentlich auch nicht«, fügte er hinzu und schaute hoch. »Jetzt habe ihn doch die beeindruckende Lady am Telefon vergessen, die nach der ehemaligen Kate Fansler gefragt hat. Sie ist wahrscheinlich zu dem Schluß gekommen, daß du es nicht mehr bist und hat aufgelegt.«
Als Kate jedoch den Hörer nahm, war Miss Tyringham noch am Apparat. Kate entschuldigte sich.
»Bitte entschuldigen Sie, daß ich zu dieser Zeit störe«, sagte Miss Tyringham. »Ich rufe auf Empfehlung von Julia Stratemayer an. Hat Ihr Mann Ihnen schon gesagt, daß hier Miss Tyringham, die Direktorin des Theban, spricht?«
Bei dem Wort »Theban« schossen Kate plötzlich eine ganze Reihe von Erinnerungen durch den Kopf, so wie es angeblich Menschen geht, die gerade ertrinken: das Singen zu Beginn des Schuljahres, die Fahrstühle, in denen man nicht reden sollte, die tiefschürfenden Gespräche über Sex, die auf dem Klo stattfanden, das Schlangestehen in der Cafeteria, und wie sie ihre Eltern überredet hatte, sie nicht in ein Internat
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