Schumacher, Jens - Frozen - Tod im Eis
McMurdo-Camps, der größten US-amerikanischen Forschungsstation in der Antarktis. Sein seitengescheiteltes braunes Haar wirkte ein wenig fettig, die von jahrelanger Ausgrabungsarbeit unter freiem Himmel wettergegerbte Haut etwas blasser als sonst. In seinen hellwachen grünen Augen loderte jedoch das altbekannte Feuer der Begeisterung, welches die Aussicht auf eine wissenschaftliche Entdeckung stets in ihm entfachte.
»Hilmar, du glaubst nicht, wie lange wir gebraucht haben, um sämtliche Stellen abzuklappern, an denen die Norweger Proben entnommen haben«, beschwerte sich Dr. Wilkins nach einer kurzen Begrüßung. »Die Burschen waren im Auftrag eines internationalen Unternehmens unterwegs, das anhand von Eisproben die klimatischen Veränderungen in der Antarktis während der letzten 100000 Jahre erforscht. Nachdem ich die Firma eine Weile gelöchert hatte, stellte man mir ein digitales Log mit den GPS-Daten ihrer Route zur Verfügung. Doch selbst damit waren die Löcher im Eis noch verflucht schwer zu lokalisieren. Lagerplätze und Bohrequipment waren ja längst abgebaut. Und finde du mal ein kopfgroßes Loch in einer weißen Wüste! Davon abgesehen würdest du nicht glauben, an wie vielen Stellen diese Jungs Proben genommen haben.«
Donald Wilkins stieß einen Seufzer aus.
»Blöderweise hatte keiner von ihnen daran gedacht zu vermerken, bei welcher ihrer unzähligen Bohrungen sie unter der Eisdecke auf Grundgestein gestoßen waren – Grundgestein mit unerklärlichen, möglicherweise durch tektonische Aktivitäten verursachten Oberflächenmustern‹, wie sie es ausdrückten. Typisch Glaziologen: kein Interesse an Dingen, die nicht aus gefrorenem Wasser bestehen.«
Er lachte kurz und schüttelte den Kopf.
»Egal. Wir haben den Ort jetzt ausgemacht, und nach allem, was ich bisher mit unserer ferngesteuerten Kamera dort unten erkennen konnte … Hilmar, ich sage dir: Ich bin hier auf etwas ganz, ganz Großes gestoßen! Allem Anschein nach sind die Zeichen künstlichen Ursprungs und verflucht alt. Das könnte sämtliche Theorien über Entdeckung und Besiedlung der Antarktis über den Haufen werfen!«
Trotz der gedämpften Beleuchtung des Computerraums war nicht zu übersehen, dass Donald Wilkins’ Gesicht vor Aufregung eine rötliche Färbung angenommen hatte.
»Das Problem ist, dass das Gestein an der betreffenden Stelle fast hundert Meter unter dem Eis liegt. Um die Inschriften vernünftig untersuchen zu können, brauchte ich ein Side-Scan-Sonar und einen Sub-Bottom-Profiler. Eine Multi-Sensor-Cam wäre ebenfalls hilfreich, außerdem …«
Er brach ab und deutete auf einen Bereich unterhalb der Webcam, die ihn aufnahm.
»Ich habe eine Liste aller erforderlichen Apparate zusammengestellt und an diese Mail angehängt. Hier unten ist davon natürlich nichts zu bekommen, die meisten Forschungsstationen sind längst für den Winter dichtgemacht. Meinst du, du könntest die Sachen für mich auftreiben und schnellstmöglich herunterschicken? Das meiste müssten unsere Geologenfreunde von der Uni im Bestand haben. Falls es Probleme mit Zoll oder Logistik geben sollte, lass dir von Dekan Borner helfen. Er kennt sich mit kniffligen Verschickungsaktionen aus.«
Dr. Wilkins pausierte, lehnte sich zurück und atmete mehrmals tief durch.
»Ich danke dir von ganzem Herzen, mein Guter. Und bitte bestell Henry Grüße von mir! Falls ich’s schaffe, werde ich mich noch einmal bei ihm melden, bevor wir wieder hinaus ins Eis fahren.«
Er dachte kurz nach, dann hieb er mit der flachen Hand auf die Schreibtischplatte, dass die Webcam erzitterte.
»Verdammt, Hilmar – ich wünschte, Henry und du, ihr könntet hier bei mir sein. Diese Sache verspricht, die größte Entdeckung meiner bisherigen Karriere zu werden!«
Er grinste und hob die Hand zum Abschied an eine nicht vorhandene Hutkrempe.
»Wilkins over und out.«
Das Bild erstarrte, die Aufnahme war zu Ende. Henry betrachtete noch einige Sekunden lang das übernächtigte Gesicht seines Vaters mit den leuchtend grünen Augen, dann klappte er das Netbook zu und verstaute es wieder in seiner Tasche.
Angesteckt von der Euphorie seines alten Freundes hatte sich Professor Albrecht sofort nach Erhalt der Botschaft darangemacht, die gewünschten Gerätschaften zu organisieren. Als er die empfindlichen Apparate allerdings in die Antarktis verschicken wollte, musste er feststellen, dass deren Transport extrem aufwendig und teuer sein würde – so teuer, dass man für
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