Schwätzen und Schlachten
und zog ihn wieder zu sich heran. Er wählte sich ein kleines Sortiment Sterne mit Füllung und reihte sie vor sich auf. Gut! Deine Kekse. Und ich sehe, dass es Sterne sind, das ist ein Fortschritt.
Das sind Tannenbäume, du Trampel, mit Pfefferminzfüllung.
Das habe ich geschmeckt, die Pfefferminze habe ich geschmeckt. Die Tanne nicht, für mich schmeckte es hundertprozentig nach Sternen. Dann las er weiter.
Sydow betrachtete ihn aus halb geschlossenen Augen, David?
Ja? Stanjic schaute auf, ließ seinen Blick suchend durch die Küche wandern, bis er Sydow auf dem Boden ausmachte, auch noch Kekse?
Nein. Was liest du da.
Stanjic hob ein paar Streifen hoch, das sind hochinteressante Fakten aus der Welt der Wissenschaft, hier zum Beispiel: Ein tiefer Blick in die Augen verrät den Charakter.
Du liest das Klopapier hier am Küchentisch?
Auf der Toilette ist es so kalt. Simon heizt dort gerade mal, dass die Rohre nicht einfrieren, aber mein Hintern friert noch vor den Rohren fest, er hat einen anderen Gefrierpunkt. Also weiter:
Mats Larsson und seine Kollegen von der Universität Oslo befragten 428 Menschen zu ihrer Persönlichkeit und untersuchten deren Augen. Danach sind Menschen mit linsenförmigen Verfärbungen auf der Iris besonders gefühlsbetont und empfindlich, während ringähnliche Strukturen eher auf Impulsivität hinweisen. Verantworlich für diese Zusammenhänge könnten Gene sein, die die Muster der Iris und gleichzeitig persönlichkeitsrelevante Gehirnstrukturen bestimmen.
Stanjic legte das Klopapierblatt weg und schob sich einen Tannenbaum in den Mund, wenn das mal nicht interessant ist!
Du meinst, wegen unseres Falles? Wegen Simon? Gute Idee, wir sollten uns mal seine Augen ansehen, wenn wir einen Ring sehen, wissen wir immerhin, ob er, wenns hart auf hart kommt, zu einer Art Kurzschlusshandlung in der Lage ist.
So weit habe ich jetzt gar nicht gedacht.
Das stimmte. Stanjic dachte seit dem Ausflug aufs Land generell eher wenig, sein Kopf befand sich meistens in einem Zustand des blassgelben Träumens, er hüpfte darin mit Katharina Fitzwilliam über blühende Frühlingswiesen, holte für sie eine riesige Brezel vom Maibaum und lagerte mit ihr unter Ribbecks Birnbäumen und pustete ihr zärtlich ins Ohr.
Das Gefühl habe ich langsam auch. Aber notiere das mal, die Augen, diese Ringe auf der Iris, kann mal noch wichtig sein, wer weiß. Was noch?
Stanjic sichtete seine Blätter, das hier ist auch sehr spannend, und zwar geht es darum, dass ein Klavierspieler, schon bevor er einen Fehler spielt, im Gehirn merkt, dass er einen Fehler machen wird. Ich lese es dir vor, der Titel ist: Der unaufhaltsame Fehler. Also:
Was geschieht im Gehirn eines Pianisten, wenn er sich verspielt? Wann bemerkt er überhaupt, dass er danebengegriffen hat? Neue Versuche haben ergeben, dass das Gehirn den Fehler schon bemerkt, bevor er passiert – und es muss dem Geschehen hilflos zusehen, weil keine Zeit mehr zur Korrektur ist.
Bei anspruchsvollen Stücken werden schon einmal 1000 Noten pro Minute gespielt, das geht nur, wenn ein großer Teil der Bewegungen als Muster gespeichert ist und ohne bewusste Planung abgespult werden kann.
Die Versuchsleiter ließen 19 Pianisten Klavierpassagen von Bach und Haydn auswendig lernen und hernach blind, das heißt, ohne dass sie ihre Hände sehen konnten, spielen.
Per EEG wurde festgestellt, dass die negativen Ausschläge, die mit einem Fehler zusammenhängen, etwa 70 Millisekunden vor dem Anschlagen der falschen Taste selbst erscheinen. Zudem werden die falschen Töne schwächer angeschlagen als die richtigen. Offenbar merkt also das Gehirn, dass ein Fehler in der Luft liegt, kann aber nicht mehr dagegen tun, als den entsprechenden Finger ein wenig abzubremsen. Der Fehler ist durch nichts mehr zu verhindern.
Frederik von Sydow starrte an die Decke, ein großer Teil , wiederholte er, wie war das noch einmal?
Moment, Stanjic ging noch einmal durch den Text, danebengegriffen, keine Zeit zur Korrektur, 1000 Noten , hier: wenn ein großer Teil der Bewegung als Muster gespeichert und ohne bewusste Planung abgespult werden kann.
Sydow schwieg, er dachte nach. Eine Bewegung ist ein Muster. Das Muster speist sich aus – woraus, würdest du sagen, speist sich ein Muster?
Stanjic überlegte, er verschob die Sterne vor sich, nein, die Tannen, na ja, sagte er, unterschiedlich. Hier ist es Übung. Die Probanden üben die Stücke von Bach und Haydn, sie lernen sie auswendig. Es ist
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