Schwarzbuch Bundeswehr - Überfordert, demoralisiert, im Stich gelassen -
überhaupt nicht an die Presse gerät.«
Wie kann es beispielsweise sein, dass offenbar jahrelang, womöglich jahrzehntelang gravierende Missstände auf dem Segelschulschiff der Marine, der Gorch Fock , herrschten, ohne dass davon etwas nach draußen drang? Wäre es denkbar, dass es sehr wohl Soldatinnen und Soldaten gab, die darüber sprachen, das Gesagte aber totgeschwiegen oder zumindest bewusst nicht gehört wurde? Von der Gorch Fock wurde lange Zeit ein schönes Bild gezeichnet, das Seefahrerstolz und Windjammerromantik mit den deutschen Tugenden Disziplin, Fleiß und Anstand verband. Wer sie beim Auslaufen auf Deck stehen sieht, die in Weiß herausgeputzten Kadetten, der mag sich kaum vorstellen, wie dunkel es in mancher Seele auf diesem Schiff ausgesehen haben muss. Die Gorch Fock steht geradezu sinnbildlich für die Kombination aus Information und Desinformation, die in der Bundeswehr betrieben wird: Unangenehmes wird ausgeblendet oder unterdrückt, der schöne Schein aber wird herausgestellt, als wäre die Bundeswehr eine Armee von Paradeuniformträgern, die es nur aus Versehen mal auf den Balkan oder an den Hindukusch verschlägt.
Als dann der Fall jener fünfundzwanzigjährigen Offiziersanwärterin bekannt wurde, die am 7. November 2010 um 10.27 Uhr aus einer Höhe von siebenundzwanzig Metern an Bord des Segelschulschiffs abstürzte und dabei zu Tode kam, dauerte es fast zehn Wochen, bis in der Öffentlichkeit darüber gesprochen wurde. Kein Wunder, dass bei einer solchen Zeitverzögerung Spekulationen über eine Vertuschung angestellt werden. Genau wie im Fall des am 17. Dezember 2010 getöteten einundzwanzigjährigen Hauptgefreiten in einem nordafghanischen Vorposten. Hier wurde zunächst die Meldung von einem Unfall beim Waffenreinigen in Umlauf gebracht. In beiden Fällen hieß es vonseiten des Verteidigungsministeriums anfänglich, es habe sich um tragische Unfälle gehandelt. Doch dann kamen täglich neue Fakten ans Licht der Öffentlichkeit. Es wurde gemunkelt, dass die Soldatin überfordert und durch übermäßige Belastung nicht in der Lage gewesen sei, ihren Auftrag zu erfüllen, und schließlich wegen Erschöpfung zu Tode stürzte. Im Fall des Hauptgefreiten wurde peu à peu bekannt, dass es sich bei dem »Unfall« um die Tötung durch einen anderen Soldaten bei Spielereien mit den Waffen handelte. Die Oppositionsparteien sprachen von Vertuschung und warfen dem damaligen Verteidigungsminister zu Guttenberg Versagen dahingehend vor, dass er seine Truppe nicht unter Kontrolle habe und deswegen nicht in der Lage sei, das Parlament wahrheitsgemäß zu informieren. Der Verteidigungsexperte der Partei Bündnis 90/Die Grünen, Omid Nouripour, äußerte: »Wir haben einen Monat lang falsche Informationen bekommen vom Ministerium. Das ist fatal, das bedeutet, dass die Führung des Hauses eigentlich den eigenen Laden nicht im Griff hat.« Der Verteidigungsminister erwiderte darauf: »Die Beteiligung des zweiten Soldaten ist bereits am Tag danach bekannt gewesen.« Es wurde aber im gleichen Atemzug betont, dass die Verzögerung in der Informationspolitik zustande kam, weil die verschiedenen Staatsanwaltschaften sich bei diesem Fall nicht einig gewesen seien.
Da stellt sich zwangsläufig die Frage: Wenn es bei einem Vorfall mehrere Erklärungsvarianten gibt, der tatsächliche Hergang noch im Dunkeln liegt und selbst die Staatsanwaltschaften sich in ihrer Beurteilung lange nicht einig werden können, warum verbreitet das Verteidigungsministerium trotzdem über Wochen beziehungsweise Monate nur die eine Version der Geschichte – die Unfallversion? Es wäre doch ein Leichtes gewesen, jeden Fall samt seinem noch ungeklärten Tathergang der Öffentlichkeit zu präsentieren. Dann käme auch niemand auf den Gedanken, wieder einmal ginge es ums Taktieren, Tricksen, Schönfärben, sobald unangenehme Vorfälle zu vermelden sind. Und solche Vermutungen liegen auf der Hand, denn auch bei einem weiteren, fast zeitgleich an die Öffentlichkeit gelangten Vorgang wird wieder nach genau dieser Maxime verfahren.
Bereits im November 2010gab es von den in Afghanistan eingesetzten Soldaten erste Klagen darüber, dass Feldpost von Afghanistan nach Deutschland geöffnet werde. Bekannt wurden neunundzwanzig Unregelmäßigkeiten. Unter anderem sollten USB -Sticks und Speicherkarten von Kameras entwendet worden sein, die die Soldaten in die Heimat schicken wollten. Betroffen waren insbesondere Sendungen aus einem Standort der
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