Schwarze Schmetterlinge
der Spüle schlief. Wir saßen auf ihrem Küchensofa mit dem rot karierten, verschlissenen Bezug. An der Armlehne auf meiner Seite war ein Loch. Ich habe den Stofffetzen hochgehoben, den sie darübergelegt hatte, um den Riss zu verbergen, und habe daran gezupft, sodass das Loch immer größer wurde. Wir kriegten viel zu süßen Saft, so einen zum Verdünnen. Aber ich habe mich nicht getraut, es zu sagen. Du konntest dein Glas noch nicht selbst halten, deshalb musste ich dir helfen. Es schneite. Wir versuchten, auf die Flocken zu zeigen, ehe sie an der Fensterscheibe zerschmolzen. Deine Hände haben klebrige Abdrücke hinterlassen, aber Aina hat dich dafür nicht auf die Finger geklopft, diesmal nicht. Irgendwann kam eine Frau mit grünem Mantel herein. Sie lächelte so komisch, und wir kriegten Süßigkeiten. Jeder eine Rolle Drops, die einen kleinen harten Bonbonkern hatten. Ich habe einen aus deiner Rolle genommen, um den harten Kern rauszumachen, bevor ich ihn dir geben wollte, damit er dir nicht im Hals stecken bleiben würde. Die Frau hat gedacht, ich wollte ihn dir klauen. Deshalb hat sie mir zur Strafe meine Süßigkeiten weggenommen. Ich konnte gar nichts sagen. Sie hätte mir doch nicht geglaubt. Seltsam, wie tief so kleine Ungerechtigkeiten sitzen. Du warst fast zwei Jahre alt. Kannst du dich an etwas erinnern?«
»Nein. Ich glaube nicht. Ich habe immer gedacht, dass Folke und Britt meine Eltern seien. Wenn man Ähnlichkeiten sucht, dann findet man sie auch. Es dauert eine Weile zu begreifen, dass das nicht mehr so ist.«
»Kannst du ihnen verzeihen?« Pernilla suchte seinen Blick, und er musste sie anschauen, obwohl er noch keine Antwort auf ihre Frage hatte. »Es fiel Folke nicht leicht, es mir zu erzählen, nach so einer langen Zeit des Schweigens. Und für mich war es auch nicht einfach, das anhören und akzeptieren zu müssen. Ich glaube, ich muss das erst mal alles verstehen. Britt wollte mich schützen. Sie dachte, es wäre schlecht für mich, wenn ich meine biologische Mutter kennenlernen würde. Ich habe noch nicht richtig rausgekriegt, warum.«
»Das alles ist ziemlich viel auf einmal für dich.«
Auf der Karlslundsgatan überholte Pernilla einen Sattelschlepper und bremste so heftig beim Einscheren, dass Per sich mit den Händen am Armaturenbrett abstützen musste. Die Scheinwerfer des Sattelschleppers näherten sich von hinten mit beunruhigender Schnelligkeit.
»Shit!«, rief Pernilla. Am Straßenrand war ein Polizist in Uniform mit Laserpistole zu erkennen. »Hoffentlich bin ich auf dem Bild gut getroffen. Mein Mann sagt immer, ich sei fotogen.«
Arvidsson verspürte eine kleine Enttäuschung. Jetzt hatte er endlich seine Schwester gefunden, ein erstes Gefühl der Verständigung empfunden, und schon musste er sie mit einem Ehemann teilen, von dessen Existenz sie ihm noch nichts erzählt hatte.
»Was macht er denn beruflich?« Unter all den Fragen, die in Pers Kopf herumschwirrten, hatte diese eine sehr niedrige Priorität, aber er stellte sie aus reiner Höflichkeit.
»Svenne fährt Taxi. Heute ist sein Team bei uns zu Hause zum Saunaabend. Er rechnet fest darauf, dass du mitmachst und ein paar Bier mit ihnen kippst.«
»Ich bin gekommen, um dich kennenzulernen.« Das Gefühl der Hilflosigkeit verlieh der Stimme eine gewisse Schärfe. Er hoffte, dass sie das nicht falsch auffassen würde.
»Es ist sowieso noch was dazwischengekommen.« Pernilla sah ihn an, schüttelte den Kopf und sog durch den einen Mundwinkel Luft ein, als bräuchte sie zusätzlichen Sauerstoff für das, was gesagt werden musste. »Ich arbeite als Tagungsbetreuerin im Conventum. Meine Kollegin ist krank geworden. Sie hat mich vor zwei Stunden angerufen, und ich muss ihre Tagung übernehmen. Ein wichtiger Kunde. Ich habe alles versucht, um freizubekommen, und es sah ganz so aus, als würde es klappen, aber jetzt wird leider nichts daraus. Svenne kümmert sich um dich, bis ich wieder nach Hause komme. Ich habe dir im Gästezimmer im oberen Stock ein Bett gemacht.«
Als sie an einigen Ställen vorbeigefahren waren und eine Gruppe von Reitern über die Straße gelassen hatten, parkte Pernilla schließlich an einem alten Lagerhaus. Per holte seine Tasche aus dem Kofferraum, und sie gingen zusammen den Kiesweg entlang auf das Hauptgebäude zu.
»Wohnst du hier auf dem Herrensitz von Karlslund?«
»Wir haben nur den Südflügel gemietet. Der ist komplett neu renoviert. Die schönen alten Kachelöfen, die
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