Schwarze Schmetterlinge
rühren, schon war sie nicht mehr als eine kleine goldgraue Flamme.
Im dreiteiligen Badezimmerspiegel konnte sie sehen, wie sich das Licht vervielfachte. Wenn sie sich an der richtigen Stelle befand, konnte sie acht Lichter und sieben identische Gesichter sehen. Ihre Augen glänzten, und in den Pupillen blitzten kleine gelbe Messer aus Feuer auf. Die acht Kinder trugen das Licht in ihren Händen und stellten sich mitten ins Zimmer.
Später wusste sie nicht, welches von ihnen angefangen hatte, und als sie der Polizei und der Frau von der Zeitung erzählen sollte, was passiert war, wusste sie es auch nicht. Eines der Spiegelkinder ließ das Feuer an der Gardine lecken. Die Flamme sog die ganze schmutzige Tüllgardine auf einmal in sich hinein, so hungrig war sie. Die getrockneten Butterblumen, die in einem blassen Strauß an der Wand hingen, wurden zu einer Feuerquaste. Sie sprühten und knisterten, ehe sie verkohlt zu Boden fielen. Knusper, knusper Knäuschen, wer knuspert an meinem Häuschen?
Der Zeitungsstapel auf dem Hocker neben dem Klo fing Feuer. Eines der acht Kerzenträgerkinder kitzelte den kleinen Bruder so lange unter den Fußsohlen, bis er schrie und Rauch aus der Bettdecke kam. Das geschah ihm nur recht. Das kleine Dreckstück hatte schließlich alles kaputt gemacht. Hatte ihr Mamas liebe Hände weggenommen. Mamas Schoß mit den Umarmungen und den lachenden Augen und den Küssen. Wenn man das Feuer an den unteren Rand der Decke hielt, schmolz sie wie Eis im Sonnenschein.
Das Feuer hinterließ einen schwarzen Schatten, wenn es durchs Zimmer kroch. Jetzt kam es auf das Bett zu, auf dem Mama lag. Der kleine Bruder schrie hysterisch. Im Kühlschrank gab es den leckeren Raclette-Käse, von dem man mit einer dünnen Schnur Scheiben abschneiden konnte. Den durfte man nicht anrühren, denn er war für den Fall gedacht, dass die Frau vom Jugendamt kam. Dann wurde der Fußboden gewischt, und auf die Betten wurden die Tagesdecken gelegt, und Pyrets Haare wurden zu zwei harten Zöpfen geflochten.
Die Kerzenträger waren der Meinung, dass man den Käse durchaus essen dürfe, aber Pyret zögerte. So viele Ja-Sager gegen Pyrets mickriges kleines Nein. Sie beschlossen gemeinsam, dass sie den Käse essen durfte. Pyret schielte zu Mama hinüber. Sie schlief mit offenem Mund. Ein schmutziger Fuß bewegte sich außerhalb der Decke.
Der Käse war genau das, was der Bauch brauchte, um glücklich zu sein. So gut, so unglaublich gut, dass Pyret ganz schwindelig wurde und wild und warm. Wenn der Schreihals nur mal Ruhe geben könnte, damit er Mama nicht aufweckte! Wenn der so weitermachte, dann konnte er nicht länger im Haus bleiben.
Die Decke glühte. Pyret versuchte, den Bruder auf den Arm zu nehmen, und verbrannte sich die Finger. Mit einem Mal war es ungeheuer heiß im Zimmer. Die Gardine war aufs Sofa gefallen. Die Polster brannten. Pyret zupfte Mama die Decke ab und wickelte sie um den kleinen Körper, während sie schreiend mit ihm zur Tür rannte. Die Hitze floss durch die Luft. Der Rauch brannte in den Augen. Die Nase lief.
»Mama, wach auf!« Es schmeckte nach Rauch im Mund. Der erstickende Rauch war überall. »Mama, wach auf! Du musst aufwachen!«
Am Tag danach war ein Bild in der Zeitung. Ein großes Bild auf der ersten Seite mit Pyret, die ihren kleinen Bruder im Arm hielt. Im Hintergrund glühte immer noch das Skelett von dem, was einmal ihr Zuhause gewesen war, ein baufälliger Hof. Die Erzieherin hatte gesagt, sie sei eine Heldin. Wie Zorro, nur eben ein Mädchen. Sie hatte allen Kindern in der Gruppe die Zeitung gezeigt.
Mama hatte sie umarmt und geküsst und gesagt, dass sie stolz sei, so eine tapfere Tochter zu haben. Worte wie »Danke«, »Mein Liebling«, »Geliebtes Kind« taten ihr so gut. Ihr wurde ganz warm im Bauch davon. Und als sie erzählte, dass sie den Käse gegessen hatte, den feinen Käse, der die Frau mit dem ernsten Gesicht etwas weniger gefährlich machen sollte, da war Mama ihr so fest durch das offene Haar gefahren, dass sie mit den Fingern in den verfilzten Zotteln hängen geblieben war.
»Das macht doch nichts.«
Aber wie das Feuer entstanden war, das konnte sie nicht erzählen, obwohl sie wieder und wieder gefragt wurde. Nicht der Polizei und auch nicht der netten Frau von der Zeitung. Nicht alle Menschen können die Kerzenträger sehen und wissen, welche Spiele sie spielen. Man muss vorsichtig sein und darf sie nicht beim Namen nennen. Sonst kommen sie, wenn man
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