Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schwarzer Valentinstag

Schwarzer Valentinstag

Titel: Schwarzer Valentinstag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günther Bentele
Vom Netzwerk:
Wand, dass man am Feuer nicht mehr sitzen konnte. Sie mussten in das Zelt.
    »Und wenn es nicht am Grunde der Schlucht stehen würde, so würde es der Sturm glatt umreißen«, sagte Balthas, der mit seiner Leibesfülle jedem Sturm zu trotzen schien.
     
     
    Bald war alles erzählt, auch die Zahlen. Draußen tobte der Sturm, dass die Zeltwände flatterten, er blies, als der Eingang bei einem besonders heftigen Stoß aufklaffte, mit einem Schwall kalter Luft eine Wolke von Schneeflocken herein.
    Balthas löschte die Laterne.
    »Fünfundsiebzig – fünfzehn – zehn – ich meine, ich hätte die Zahlen schon einmal gehört. Es hatte etwas mit Feuer zu tun, glaube ich«, sagte Balthas in das Dunkel hinein. Die Zeltwand knallte.
    »Gnade uns Gott, wenn uns das Unwetter auf der Grinde erwischt hätte«, sagte Lukas leise.
    »Jedenfalls hätte dann der Florian nicht abhauen können«, vernahm man die Stimme von Melchior.
    »Brusthoch schmeißt das heute Nacht den Schnee hin, dass kein Mensch mehr durchkommt.«
    »Hört ihr, der Philo ist der Schlauste, der schnarcht schon.« Regines Stimme klang müde.
    »Du hast die Zahlen schon einmal gehört?« Die Stimme des Gefolterten zitterte.
    »Wie es draußen heult! Morgen früh ist es so kalt, dass die Bären erfrieren, wenn du sie aus ihrer Höhle gräbst.« Melchior gähnte.
    »Fünfundsiebzig – fünfzehn – zehn«, sagte Balthas mit abwesender Stimme.
    »Es kann tagelang weiterstürmen. Und je länger es stürmt und schneit, desto kälter wird es.« Melchior ließ sich nicht abbringen.
    Balthas fuhr fort: »Man zaubert damit. Es hat mit Feuer zu tun. Es ist wie ein Feuer, mit dem man zaubert.«
    Christoph klammerte sich an den Ärmel des Vaters.
    »Es ist Zauberei. Irgendwann habe ich von diesen Zahlen gehört, aber ich weiß nicht, wann und wo.« Eine Bö drückte die Zeltwand weit nach innen, sie knatterte, dass man Balthas kaum verstand.
    »Was kann man denn damit zaubern?«, fragte Christoph atemlos.
    »Gaukelei – nichts als Gaukelei.« Die Stimme des Vaters war angestrengt und gepresst, er hatte schon lange nicht mehr so laut gesprochen. Es lag Ungeduld in ihr: »Verzeihung, aber diese Gauklergeschichten bringen uns keine Handbreit weiter.«
    Ein Gaukler in der Einöde hat schon von diesen Zahlen gehört!, dachte Christoph überrascht. Warum verfolgt man dann gerade uns so schrecklich?
    »Sie haben es auf den Marktplätzen gebraucht, aber ich weiß nicht, wie und wo. Es muss sehr erfolgreich gewesen sein: Wer es wusste, hat das Geheimnis nicht weitergegeben. Irgendeine Zauberei!«
    »Die Kaufleute von Straßburg machen keine Gauklervorstellungen auf Jahrmärkten!« Die Stimme des Vaters, so dünn sie geworden war, klang grob, fast höhnisch, begleitet von diesem Keuchen und diesem seltsamen Pfeifen, das in den letzten Tagen immer schlimmer geworden war.
    Christoph starrte in das Dunkel. Draußen heulte der Sturm. Durch die Ritzen herein stieß immer wieder ein schneidend kalter Luftzug. Aber sonst war es hier behaglich. Die sieben Menschen machten den Raum angenehm warm. Er lag eng an den Arm seines Vaters geschmiegt.
    Der Vater hatte nicht geantwortet; als er ihn gefragt hatte, ob das wehtun würde. Er hörte seinen keuchenden Atem neben sich.
    Christoph hatte sich oft gefragt, ob es nicht besser gewesen wäre, wenn man sie hingerichtet hätte: Das Elend, die tägliche Angst, die Demütigungen, wenn einem die Leute aus dem Weg gingen. Oft war es ihm, als wolle etwas in ihm losweinen. Aber der Vater weinte nicht, nie. Er lachte auch nicht mehr.
    Wie war früher das Leben schön gewesen! Christoph hatte alles gehabt, was er nur brauchte und haben wollte. Gutes Essen, nie Hunger, nie Kälte, schöne Kleider, ein eigenes Pferd. Die Mutter hatte viel gelacht. Jetzt war sie schon so lange tot.
    Der Vater war oft auf Reisen gewesen, aber er hatte ihm immer etwas mitgebracht, der Mutter, ihm und den Geschwistern, seltene und kostbare Dinge, die von sehr weit her kamen. Der Mutter hatte er einmal eine kunstvoll durchbrochene elfenbeinerne Kugel geschenkt mit einem fremdartigen Muster, die alle bewundert hatten. In ihr war wieder eine durchbrochene Kugel mit demselben Muster und darin wieder eine und so fort, und alle Kugeln ließen sich bewegen.
    Christoph ging über den Schwarzwald, er schritt von Wipfel zu Wipfel. Tief unter ihm lag das schwarze Auge des Mummelsees. In den Wäldern ringsum brannten Feuer, feierlich stiegen Rauchsäulen auf in den weißen Himmel. Er

Weitere Kostenlose Bücher